Kar­freit­ag – (nur) eine Glaubens­frage?

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Dorothee Büürma

Pastorin, Erwachsenenbildung


Eine Kurzpredigt über die Bedeutung des Todes Jesu am Kreuz (nach Matthäus)

Die Geschichte der Kreuzigung Jesu im Matthäus-Evangelium zum Nachlesen: 
https://www.die-bibel.de/bibeln/online-bibeln/lesen/BB/MAT.26/Matthäus-26

Inhaltlicher und zeitlicher Überblick

Wir gehen mit dem Evangelisten Matthäus durch die Karwoche.
Von ihm haben wir am Palmsonntag laute Jubelrufe und auch schon die ersten Anzeichen für den bevorstehenden Tumult in Jerusalem gehört.
Mit seinen Worten haben wir am Gründonnerstag Abendmahl gefeiert, dem Weg Jesu in den Garten zum Gebet nachgespürt. 
Heute (am Karfreitag) nahm die Geschichte ihren unheilvollen Lauf.

Im Matthäusevangelium finden wir Details über die letzten Tage Jesu, die sich auf Prophezeiungen aus dem Alten Testament beziehen. Jesus war der Messias, den das Volk Gottes seit vielen Jahrhunderten erwartet hatte. 
Und in der Passionsgeschichte des Matthäusevangeliums wird immer wieder deutlich, dass ebendiese jüdischen Geistlichen, die in Jerusalem eine hohe Stellung und viel Macht hatten, ihren Messias nicht erkannten.

Warum wurde Jesus zum Tode verurteilt?

Verurteilt wurde Jesus schließlich vor einem jüdischen Gericht, dem Hohen Rat, unter der Leitung des Hohepriesters Kaiphas. 
Obwohl Jerusalem Teil des römischen Reichs war, genoss der jüdische Hohe Rat besondere Rechte, wenn es um Fragen des Glaubens oder der Religiosität ging.
Jesus war Jude. Das Unheil, das er aus der Sicht des Hohepriesters stiftete, war religiöser Natur. Er wurde als Gotteslästerer verurteilt.
Die Hohenpriester und Ältesten des jüdischen Volkes baten den römischen Statthalter Pilatus, den verurteilten Gotteslästerer mit dem Tod zu bestrafen.
Wohlgemerkt, die Todesstrafe wurde zwar vom Hohen Rat beschlossen, aber sie wurde von den römischen Herrschern in Jerusalem ausgeführt. Religiöse Eliten und politische Unterdrücker arbeiteten in diesem Fall zusammen.
Die Kreuzigung war nur eine Methode, die die Römer als Todesstrafe nutzten. Sie war hauptsächlich politischen Gefangenen vorbehalten und Kriminellen. Sie sollte die Verurteilten demütigen und die Zuschauer einschüchtern. 

Nun war Jesus aber ja kein Krimineller und auch kein politischer Gefangener… Und zwischen den Zeilen des Evangeliumstextes kann man herauslesen, dass Pilatus sich auch eher schwer tat mit der Verurteilung Jesu zum Tode.
Natürlich hatte Jesus für Aufruhr gesorgt und Ärger gestiftet. Aber die Anklagen gegen Jesus und sein Schweigen gegenüber allen Vorwürfen verwunderten Pilatus sehr. Ich denke, er merkte, dass hier nicht mit rechten Karten gespielt wurde.

Daher dann auch der Gedanke, einen Gefangenen freizusprechen und die Wahl zwischen Jesus und einem Schwerverbrecher anzubieten. Ein genialer Plan, wenn man das so neutral beobachtet… 
Aber für Pilatus und die römischen Verantwortlichen wurde durch diese Wahl zwischen Jesus und Barabbas das Ausmaß des Ärgers unter den jüdischen Gelehrten sichtbar. Sie hatten das Volk so aufgestachelt, dass die Rufe nach Kreuzigung aus dem Volk sehr laut waren. Und so nahm Jesu Weg nach Golgatha seinen Lauf…

Todesurteil aufgrund des Glaubens?

Das alles ist vor etwa 2000 Jahren gewesen. Es ist eine Zeit, über die ich viel gelesen und gelernt habe. 
Und so viel ich auch über die Hintergründe und das Denken der damaligen Zeit weiß, so fremd ist mir das alles trotzdem.
Wenn ich die Geschichte so grob zusammenfasse, dann merke ich, dass eigentlich alles eine Frage des Glaubens war – und mehr!

Das Volk, das Jesus bejubelte bei seinem Einzug nach Jerusalem, und die Menschen die Jesus geheilt hatte, glaubten, dass Jesus der Sohn Gottes war. Ihnen kam Gott selbst in Jesus ganz nahe. Und ihr Leben wurde dadurch verändert.

Die jüdischen Gelehrten sahen in Jesus den Unruhestifter, der ihre religiösen Riten durcheinanderbrachte. Sie konnten nicht glauben, dass er der prophezeite Messias ist. Und sich auch noch als Sohn Gottes zu bezeichnen, das war für sie Gotteslästerung und eine grobe Sünde. Ich glaube aber auch, dass sie neidisch waren auf den Anklang, den Jesu Worte unter dem Volk fanden. Und dass sie beleidigt waren, wenn Jesus sie so öffentlich bloßstellte und gegen sie wetterte. 

Weitere Gründe für die Verurteilung Jesu

Auch wenn Jesus als Gotteslästerer verurteilt wurde und als seine größte Sünde die Blasphemie genannt wurde, denke, ich dass da noch ganz andere Beweggründe im Hintergrund waren. Es ging gar nicht wirklich um die Frage des Glaubens – war Jesus nun Gottes Sohn oder nicht?

Sondern es ging um ganz weltliche Dinge: um Macht, um Ansehen, um das Aufrechterhalten von unterdrückerischen Systemen (politisch und religiös!), es ging um Neid, Hass und Vorurteile. 

Machtgier verleitet zu Demütigung derer, die die Macht in Frage stellen

So fremd mir das Denken über Todesurteile für Gotteslästerer auch ist, so nah sind uns die Beweggründe der Machthaber auch heute noch. Dass Politiker*innen mitunter falsche Beweggründe für ihre Entscheidungen haben, ist auch uns heute noch bewusst. Dass Menschen in Machtpositionen in Versuchung geraten unmoralisch zu handeln, ist auch in unserer Zeit und unserer Kultur ein Problem.

Die Umstände, die zum Todesurteil Jesu geführt haben, die sind in unserem menschlichen Denken und Handeln wohl irgendwo immer noch veranlagt. 

Und an dieser Stelle merke ich: Es geht hier um ganz existenzielle Glaubensfragen. Es geht um die menschliche Natur, als Geschöpfe Gottes mit unserem Eigenwillen und oft auch unserem Starrsinn und unserer Machtgier.

Es geht um die Werte, die wir Menschen in der Welt vertreten.

Und es geht darum, dass auch unter dem Kreuz, am Höhepunkt des Leidens Jesu, Menschen ihre Augen öffnen können für das Göttliche in der Welt. Dass Gott, auch wenn die Menschheit ihn zu Tode verurteilt, Wunder schafft.

Das Wunder des Glaubens

Wir haben in der Matthäuspassion gehört, wie der römische Hauptmann und seine Wächter, die Jesu Tod miterlebten, mit Schrecken erkannten, dass Jesus der Sohn Gottes gewesen war. Sie kamen zum Glauben an Jesus im Moment seines Todes. Sie spürten den Aufschrei der Schöpfung, das Erdbeben und die Felsen, die in Stücke zerbrachen. Und ihnen wurde schlagartig klar, dass am Kreuz Gott selbst gelitten hat. Nicht nur unter den Schmerzen und dem Tod, sondern sicher auch unter der Enttäuschung über die Menschen, die nicht glauben konnten. 

Im tiefsten Leiden, wenn es scheint, als ob es keine Hoffnung mehr gibt, wenn die Erde bebt und der Vorhang zerreißt, der im Tempel das Allerheiligste trennt vom Rest des Volkes, auch da geschehen Wunder. 

Die Erkenntnis des römischen Hauptmanns macht uns Mut an diesem Tag, an dem wir uns an die verheerendste Entscheidung der Menschen erinnern. Gott selbst wurde ermordet. Und niemand hat dagegen etwas ausrichten können.

Die Menschheit hat am Kreuz komplett versagt. 
Und trotz allem kam genau an diesem Unheils-Ort, ein Mensch zur Einsicht. 

Der Tod selbst kann das Wirken Gottes nicht aufhalten – das klingt schon hier am Kreuz an und das wissen wir spätestens am Ostersonntag, wenn wir hören, wie die Geschichte weitergeht.

Erlösung

Für mich ist genau das die Bedeutung von Erlösung. 

Dass es nicht darauf ankommt, dass wir Menschen immer alles richtig machen. Dass Gottes Wirken in der Welt wirklich nicht von uns abhängt. 
Wir müssen den Glauben nicht verteidigen oder uns um das Überleben der Christenheit sorgen. 
Gott selbst offenbart sich den Menschen und immer wieder erkennen wir ihn und finden zum Glauben.

Selbst das Folterinstrument Kreuz wurde durch Jesu Tod zum Werkzeug des Glaubens – nicht nur für diejenigen, die dabei waren, sondern für viele Menschen über Jahrtausende hinweg.

Die Kraft des Kreuzes

Der Apostel Paulus hat im Korintherbrief geschrieben, dass das Kreuz für viele eine Torheit war – wie kann man schon an einen Gott glauben, der sich zum Tode verurteilen hat lassen?
„Uns aber, die wir selig werden, ist's eine Gotteskraft“, sagt Paulus. 
Genau darin liegt die Kraft des Kreuzes, die Kraft des Karfreitags: dass Glaube besonders dann wächst, wenn alle menschliche Kraft, alle Vernunft, alle Logik versagt. 

Auch wenn der Karfreitag ein trauriger Tag ist, auch wenn wir erkennen wie unrecht Jesus behandelt wurde, dürfen wir voller Vertrauen durch die nächsten Tage gehen.

Denn Gottes Kraft ist auch in diesen schwächsten und schwierigsten Zeiten des Lebens mächtig. Seine Geistkraft stärkt uns und erfüllt uns mit Hoffnung inmitten von Trauer und Ohnmacht.  Amen.

Theologische Hintergrundinformationen beziehen sich vor allem auf das Studium der "Postcolonial Theology" und der "Theology of Empire". Theologen, die diese Ansichten vertreten sind Marcus Borg, J. Dominik Crossan, Brian McLaren, Anthony Reddie, Joerg Rieger, uvm. 

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