Über Füchse und Hennen: eine Predigt für Kri­sen­zei­ten

Faith Impulse

Image from Dorothee Büürma
Dorothee Büürma

Pastorin, Erwachsenenbildung


Predigt zu Lukas 13,31-35

Lukas 13,31-35 (entnommen aus der Basis-Bibel)

Zur selben Zeit kamen einige Pharisäer und warnten Jesus: »Geh weg und zieh fort von hier! Denn Herodes will dich töten lassen.«
Jesus sagte zu ihnen: »Geht und sagt diesem Fuchs: ›Ich treibe Dämonen aus und heile Kranke – heute und morgen. Und am dritten Tag werde ich am Ziel sein.‹
Doch heute, morgen und übermorgen muss ich meinen Weg fortsetzen. Denn es ist unmöglich, dass ein Prophet außerhalb von Jerusalem ums Leben kommt.«

»Jerusalem, Jerusalem! Du tötest die Propheten und steinigst die Boten, die Gott zu dir sendet. Wie oft wollte ich deine Kinder um mich versammeln wie eine Henne ihre Küken unter ihren Flügeln beschützt. Aber ihr habt nicht gewollt.
Seht euch vor: Euer Tempel wird von Gott verlassen. Das sage ich euch: Ihr werdet mich nicht mehr sehen, bis ihr einst ausruft: ›Gesegnet ist, wer im Namen des Herrn kommt!‹«

Wie geht es euch beim Lesen dieses Bibeltextes?
Ich weiß ja nicht, mit welchen Erwartungen ihr eine Predigt lest, aber ich selbst erwarte eigentlich, dass mir von/in der Kirche Gottes Gute Nachricht, seine Frohe Botschaft, verkündigt wird.

Und da sind die Texte für diesen Sonntag: die Klage Jesu über Jerusalem und die Worte vom Apostel Paulus über die Menschen, die seiner Meinung nach geradewegs in ihr Verderben laufen (Philipper 3, 17 - 4,1)!
Auf den ersten Blick sind die heutigen Bibelverse für uns schwer zu lesen und zu verinnerlichen. Da wäre doch ein Text aus dem Johannesbrief über die Liebe viel angenehmer!

Unangenehme Texte in der Bibel

Lasst mich daher die Predigt heute im Stil von John Wesley beginnen. Jede seiner Lehrpredigten verkündete immer zu Beginn und am Ende die Gewissheit, dass Gottes Gnade über allem Unheil steht. Dass Gottes Liebe und Güte alle Schwierigkeiten übersteht und auch uns durch die Herausforderungen des Lebens trägt.
In Gott finden wir Geborgenheit – wie die Küken unter den Flügeln ihrer Mutter-Henne
(zu dem Bild komme ich noch).
Mit dieser Gewissheit können wir uns nun auch den schwierigen Texten unserer Bibel widmen.

Die heutigen Texte befassen sich mit Menschen, die gegen Jesus sind und seine Weisungen über ein Leben, das in Gottes Sinn ist, nicht befolgen.

Paulus schreibt unter Tränen, so sehr nimmt ihn die Situation in Philippi mit. Viele Menschen dort leben nach ungerechten Maßstäben – sie bereichern sich auf Kosten der Mitmenschen und sind gierig nach Macht und Reichtum. Paulus nennt sie Feinde des Kreuzes von Christus und sieht sie auf bestem Weg ins Verderben.

Jesus selbst wird im Evangeliumstext mit dem Tod gedroht – seine guten Taten der Heilung, der Nächstenliebe und der Mitmenschlichkeit sind den Unterdrückern ein Dorn im Auge. Denn gestärkte, geheilte und von Lasten befreite Menschen lassen sich bekanntlich schlechter weiter unterdrücken.

Wenn der Glaube unterdrückt ist

Dazu ein Beispiel aus meiner Zeit in England: Dort ist die Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten deutlich konfessionsloser geworden – etwa die Hälfte aller Brit*innen fühlen sich keiner Religion zugehörig. Viele bekennen sich fröhlich zum Atheismus. 
Ich hatte immer wieder Gespräche mit Menschen, die sich für Gott, Glauben und Kirche eigentlich nur zu drei Gelegenheiten im Leben kurz Zeit nahmen: zu Taufen, Trauungen und Beerdigungen. 

In Taufgesprächen habe ich immer wieder gesagt bekommen, dass ein Elternteil zumindest kein Interesse am Glauben hat. Ich war dann oft recht keck und fragte nach: warum? Und woran genau war da kein Interesse? Also was genau war das für ein Glaube, zu dem sich die Menschen nicht bekennen wollten?
Die Antworten gingen oft in dieselbe Richtung:
Wir sind ja eh gute Menschen. Wir tun niemandem etwas Böses, wir stehlen nicht, wir machen Spenden an verschiedene Wohltätigkeitsorganisationen, wir erziehen unsere Kinder dazu höflich und hilfsbereit zu sein. Das ist doch eh alles, was die Christ*innen auch tun. Dazu brauchen wir doch keine Kirche und keine Bibel. Und in den Himmel kommen wir dann ja sowieso, weil wir ja so gute Menschen sind. Also brauchen wir uns um das ewige Leben auch keine Gedanken zu machen. 
Da genießen wir doch lieber unser Leben und nehmen uns Zeit für alles, was uns Spaß macht!

Auf den ersten Blick waren das immer sehr freundliche Menschen, die solche Ansichten hatten. Sie waren mit ihrem Leben, ihrer Arbeit, und ihrem Besitz zufrieden. Sie hatten gute Freunde und waren in sportlichen oder sozialen Vereinen engagiert. 
Ich habe oft gedacht: Dieser perfekte Schein kann schnell trügen. 

Das Leben ist nicht perfekt!

Im Glauben geht es eben nicht darum, ein möglichst perfektes, idyllisches Leben zu führen. 
Es gibt viele Texte in unserer Bibel, die von den Schwierigkeiten eines Lebens in Gottes Sinn erzählen. Ablehnung, Verfolgung und Leid gehören in vielen biblischen Texten zum Alltag der Gläubigen dazu. 
Und es sind genau die schweren Zeiten im Leben, die uns zeigen, dass wir nicht aus eigener Kraft leben können, sondern dass wir irgendwann an unsere menschlichen Grenzen kommen. Und wenn wir an diesen Grenzen sind, dann überrascht uns die Kraft, die Gott uns schenkt.

Glaube als Rückhalt in Krisenzeiten

Die Bibeltexte höre ich natürlich diese Woche mit den Bildern aus der Ukraine in meinen Gedanken. Leid, Zerstörung, Schmerzen, Tod, Trauer – der neue Alltag vieler Menschen, die bis vor Kurzem wie wir ihren geregelten Tagesablauf hatten. 
Krieg und Unterdrückung eines machtgierigen Herrschers haben das Leben in der Ukraine komplett verändert. Sie verstehen, wie es ist, wenn der böse Fuchs kommt und es auf sie abgesehen hat. 

Was mich immer noch schwer beeindruckt: der methodistische Pastor in Lemberg/ Lviv, der in einem Interview beschreibt, wie er und seine Gemeinde Tag und Nacht für die Menschen da sind, die unterwegs sind – auf der Flucht oder auf der Suche nach Angehörigen. Sie finden in seiner Kirche Unterschlupf, Versorgung und Schutz. Gemeindeglieder engagieren sich und kümmern sich um alle, die bei ihnen vorbeischauen. 
Der Pastor sah müde aus in dem Interview (und das war vor einer Woche). Aber er erzählte mit strahlenden Augen, dass sie trotz Sirenen, Angst und Arbeit jeden Tag Zeit finden für gemeinsames Beten. Jeden Tag gibt es mindestens eine halbe Stunde, in der die Gemeinde Andacht feiert und Gott lobt. Ihr Glaube ist unbeirrt und gibt ihnen die Kraft, die Herausforderungen des Tages zu meistern.

Gott ist nicht unsere Marionette

Was für ein Kontrast zu den vielen Menschen, die ich kenne, denen Gott eigentlich oft egal ist; die aber in Krisenzeiten nicht mehr wissen, woran sie eigentlich festhalten können (das muss nicht immer der Krieg sein – schon die Pandemie hat da ja einiges ausgelöst); die eben nicht den Rückhalt eines Glaubens haben, der ihnen zeigt, wie man mit Schwierigkeiten umgehen kann; die vor allem unangenehme Bibeltexte nicht kennen, weil sie sich nie dafür Zeit nehmen, sich mit Gott zu befassen. 

Noch immer bedrückt mich der Suizid eines ehemaligen Arbeitskollegen in Großbritannien – er war ein herzensguter Mensch, immer fröhlich und doch in seinem Privatleben zutiefst verzweifelt. Er war zwar irgendwo einmal christlich geprägt gewesen, aber wusste eigentlich nicht, was er glauben sollte. Ab und zu haben wir kurz darüber geredet, aber es war deutlich, dass er wenig Interesse hatte. Er hatte die Ansicht, dass er ja beten könnte, wenn er wirklich einmal Hilfe braucht – und dass Gott ihm ja dann helfen könnte. Also wie eine Art Marionette, die auf alles reagiert, was man von ihr verlangt.

Auch hier in Österreich sind mir Menschen begegnet, die sich von der (meistens römisch-katholischen) Kirche abgewendet haben und das damit begründen, dass es alles keinen Sinn hat. Beten bringt nichts. Denn Gott hat ihnen nicht das gegeben, was sie von ihm verlangt haben.

Wie anders gehen da unsere Geschwister in der Ukraine mit dem Glauben durch ihre Krise: Sie loben und danken Gott für das, was sie an Gutem erfahren. Es gäbe sicher vieles, was sie beklagen könnten. Doch sie sind reich an Vertrauen in Gottes Freude und Gottes Frieden, von denen sie sich inmitten des bedrohlichen Alltags spürbar erfüllen lassen.

Leben unter dem Schirm Gottes

Gott schenkt Zuflucht und beschützt uns – aber nicht immer so, wie wir uns das vorstellen.

Dazu nun das Bild aus unserem Evangeliumstext.

Lukas spricht immer wieder vom Fuchs, der böse Absichten verfolgt. In unserem heutigen Text wird der Herrscher Herodes als Fuchs auf der Suche nach Beute bezeichnet. 
Und wir alle wissen wahrscheinlich, dass ein Fuchs gern mal Hühner jagt und verspeist. Es ist also ein hungriger Fuchs unterwegs, um sein Unwesen zu treiben.
Und es ist eine Henne unterwegs: Jesus vergleicht sich mit einer Mutter-Henne, die ihre Küken zu sich bringt und unter ihren Flügeln versammelt.

An dieser Stelle muss uns klar werden, dass das Bild der liebevollen Henne, die ihre Küken beschirmt zwar auf den ersten Blick sehr romantisch scheint – aber erinnert euch an den streunenden Fuchs!
Nach genau so einer Henne sucht er. Und wird sie sicher irgendwann finden und dann seine Mahlzeit genießen. 

Das Bild ist also gar nicht so romantisch, wie es oft zitiert wird. Die Mutterhenne kann den Küken keinen dauerhaften Schutz geben. Sie sind vor der Kraft des bösen Fuchses nicht ewig sicher.

Im Matthäusevangelium steht dieser Text direkt vor dem Beginn der Passionsgeschichte Jesu – also als Auftakt zu seinem Weg nach Jerusalem, der ein Leidensweg zum Kreuz wird. Deshalb finden wir diesen Text auch in der Fastenzeit in unserer Leseordnung.

Im Lukasevangelium ist er aber an anderer Stelle – etwa in der Mitte des Evangeliums, nach vielen Wundertaten und Heilungen, aber noch vor den meisten Gleichnissen, in denen Jesus zu seinen Nachfolger*innen über Gott spricht. Lukas macht deutlich, dass Jesus immer wieder von den politischen und religiösen Strukturen seiner Zeit verfolgt wurde. Die Pharisäer in diesem Text waren Boten von Herodes. 

Die Gefahr der politischen Konsequenzen für Jesu Worte und Werke hat ihn lange Zeit begleitet. Und sie ging aus vom politischen und religiösen Zentrum des Landes: Jerusalem und dem Tempel. 

Doch ich möchte noch ein letztes Mal zurück auf das Bild der Henne kommen.
Auch wenn der Schutz der Flügel dieser Henne für irdische Füchse kein großes Hindernis sein kann, wird durch dieses Bild deutlich: Die Henne bringt ihre Küken zusammen unter den Flügeln. Was die Küken von ihr erfahren ist Geborgenheit, Nähe und Wärme. Die Küken sehen das Unheil nicht, das um sie geschieht. Sie spüren nur die Geborgenheit und Fürsorge der Henne.

Für mich geht von diesem Bild eine große Kraft aus. Das, was uns Halt geben kann in Krisenzeiten, das kann Jesus schenken: Nähe und Geborgenheit in allem, was un-heil ist. Die Krisen sind damit nicht automatisch bezwungen oder gar „fortgebetet“. Aber unter dem Schirm des Retters können wir Zuflucht, Liebe, Trost und Fürsorge in Leid und Unheil erfahren. 

Und im Gegensatz zu den Flügeln der Henne zeigt sich in den Geschichten über die Auferstehung Jesu, dass sein Schirm aus dem Material der Ewigkeit besteht. Sein bösartiger Mord am Kreuz durch die Füchse der Welt war nicht das Ende. Seine Überwindung von Tod und Leid hat den Schirm neu aufgespannt – einen Schirm von Gottes Ewigkeit. Unter diesem Schirm sind wir schon hier und heute geborgen, und wir dürfen darauf vertrauen, dass uns dieser Schirm ewig begleitet.

Ich möchte mit dem Bild unseres Tulpenstraußes aus dem Gottesdienst schließen:

Die Tulpen, die gut genährt sind, recken ihre Köpfe gerade hinauf. Die vom Leben gebeutelten, welken Tulpen hängen nach unten. 

Schauen wir also auf unsere geistige Nahrung und schöpfen wir Kraft aus dem Glauben!

Tulpen

Your browser is out of date!

Update your browser to view this website correctly. Update my browser now