Vom Durst und der Sehnsucht

Faith Impulse

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Esther Handschin

Pastorin, Erwachsenenbildung


Eine Predigt zu Johannes 4,3-29

Zwei gegensätzliche Geschichten

Die Geschichte von der Frau am Jakobsbrunnen aus Johannes 4 lässt sich als Kontrast oder vielleicht auch als Ergänzung zur Geschichte des vorangehenden Kapitels aus Johannes 3 lesen. Da ging es um ein Gespräch zwischen Männern über das Thema des Geborenwerdens. Nikodemus, ein angesehener Jude kommt in der Dunkelheit der Nacht zu Jesus und redet mit ihm. Wie so ganz anders ist die Szene aus Johannes 4. Nicht ein Mann, sondern eine Frau ist die Gesprächspartnerin Jesu. Nicht mitten in der Nacht, sondern am helllichten Tag, zur heißesten Zeit treffen sich die beiden am Brunnen, für alle sichtbar, die dieser Frau schon immer gerne etwas nachgesagt hätten.

Gerade was die Lebensführung betrifft, so sind die Frau am Jakobsbrunnen und Nikodemus der pure Gegensatz. Er ist einer der Oberen, tadellos in seiner Lebensführung und ein ehrbarer Mensch. Sie hingegen war mit fünf Männern verheiratet und der, mit dem sie jetzt zusammenlebt, das ist nicht ihr Ehemann. Schließlich ein letzter Gegensatz: Nikodemus ist Jude, deren Zentrum der Gottesverehrung in Jerusalem liegt. Die Frau lebt in Samarien. Die Menschen aus dieser Gegend verehren Gott am Berg Garizim. Das wird von den Juden, wie Jesus auch einer ist, nicht gern gesehen. Sie schauen auf die Samaritaner herunter, weil sie nicht den richtigen Glauben haben. So verschieden die Frau und Nikodemus sind, Jesus spricht mit beiden, gibt Antwort auf ihre Fragen und nimmt ihre Sehnsucht ernst.

Ein Durst, der gestillt werden soll

Um Sehnsucht geht es bei dieser Frau. Um die Suche nach dem, was den Lebensdurst stillt. Um das, was bleibt und trägt im Leben. Um den Sinn und das, was Halt gibt im Wechsel der Gefühle und Stimmungen. Wo komme ich zur Ruhe? Wo finde ich eine Quelle, die meinen Durst stillt, endgültig?

Jesus ist zunächst der Suchende und Fragende. Er hat Durst. Es ist heiß. Er hat kein Schöpfgefäß. Er ist angewiesen auf diese Frau, die zur Mittagszeit zum Brunnen kommt. Sie kann ihm helfen seinen Durst zu löschen, sich zu erfrischen nach der ermüdenden Reise. Sie allein ist da, denn die Jünger sind weggegangen in die Stadt, um Essen zu kaufen. Sie sind ebenso beschäftigt mit Alltäglichkeiten wie diese Frau. Sie braucht Wasser. So wie jeden Tag holt sie es sich am Brunnen. Doch ihre alltägliche Tätigkeit findet eine Unterbrechung. Da ist dieser Mann mit seiner ungewöhnlichen Bitte und mit seiner eigenartigen Rede über das Wasser.

Eine verkehrte Welt

Als samaritische Frau kann man sich darüber nur wundern! Ein Mann bittet eine Frau um Wasser. Ein Jude will etwas von einer Samariterin. Beides ist ungewöhnlich und eine Art verkehrte Welt! Dieser Jesus erzählt von einem Wasser, das den Durst löscht bis in Ewigkeit. Von einem Wasser, das in einem Menschen zur sprudelnden Quelle wird. Kann man solches Wasser aus einem Brunnen schöpfen? Wo gibt es dieses Wasser zu trinken? Wie kann ich zu diesem Wasser gelangen, das mir das mühsame Wasserholen erspart? Die Sehnsucht der Frau nach diesem Wasser ist groß. Sie lechzt nach einer Quelle, aus der sie immer wieder neu schöpfen kann ohne fürchten zu müssen, dass diese Quelle je einmal versiegt.

Der Durst nach Leben

Wir spüren mit dieser Frau, wie eine solch lebendige Quelle auch uns gut tun würde. Wasser, das unseren Durst löscht, das uns erfrischt, stärkt und kräftigt. Ein Lebenselixier, das uns Energie gibt und uns beflügelt in den Dürren und Wüsten unseres Lebens. Wasser, das all das Eingetrocknete befeuchtet, das Hartgewordene wieder geschmeidig macht und Totes zu neuem Leben erweckt. Wie wäre das, eine Quelle, zu der wir nicht immer wieder neu hingehen müssten. Wie wäre das, ein Brunnen, wo wir nicht mühsam das Wasser Eimer für Eimer heraufziehen müssten, sondern eine Quelle, die von sich aus sprudelt und quillt und uns mit dem versorgt, was wir zum Leben nötig haben.

Die Frau spricht ihren Wunsch aus: „Gib mir dieses Wasser, damit ich keinen Durst mehr habe und nicht hierher kommen muss, um Wasser zu schöpfen!“ Nun ist auf einmal sie es, die nach Wasser fragt. Die Rollen haben gewechselt. Die Gebende wird zur Verlangenden und derjenige, der um Wasser gebeten wird zum Geber und Durstlöscher.

Doch bevor die Sehnsucht dieser Frau gestillt wird, verlangt Jesus etwas Eigenartiges von ihr: „Geh, ruf deinen Mann und komm wieder her!“ Was hat ihr Mann mit diesem Wasser zu tun? wird sie sich gefragt haben. Wozu diese Aufforderung von Jesus? Um trinken zu können, dazu braucht sie ihren Mann nicht!

Jesus spürt, dass die Frau vom Jakobsbrunnen einen ganz anderen Lebensdurst in sich hat. Bevor sie nicht ihren Durst wahrgenommen hat und weiß woher er kommt, wird auch Jesus ihren Durst nicht stillen können. Fünf Männer hat sie gehabt. Fünf Männer waren nicht genug, um ihr das zu geben, wonach sie verlangt und dürstet. Das ist der wunde Punkt in ihren Leben. Hier kommen der Lebensdurst und die Sehnsucht zum Ausdruck. Wie schmerzvoll muss es für die Frau sein, nicht die Liebe zu bekommen, nach der sie sich sehnt.

Die Sehnsucht geliebt zu werden

Es genügt nicht, der Frau am Brunnen einen verschwenderischen Umgang mit Männern vorzuwerfen. Die Sehnsucht danach geliebt zu werden und als diejenige Person, als der Mensch erkannt zu sein, der man ist, diese Sehnsucht steckt in jedem und jeder von uns. Diese Sehnsucht danach geliebt zu werden, kann auch zur Sucht werden und dazu führen, dass Menschen bereit werden alles mögliche mit sich machen zu lassen, nur um geliebt zu werden. Das geht bis dahin, dass die Liebe in eine Abhängigkeit führt und damit zur Gefangenschaft oder zur Fessel wird.

Jesus fordert mit der Frage nach ihrem Mann diese Frau auf, der Wahrheit, der sie bisher ausgewichen ist, ins Gesicht zu sehen. Sie spricht es selbst aus: „Ich habe keinen Mann.“ Trotz der fünf Männer, trotz der vielen Beziehungen, fand ihre Liebe keine Erfüllung. Jesus führt sie auf dem Weg zum Wasser, auf dem Weg zur Quelle nicht an den Fragen des Lebens und der Sehnsucht vorbei, sondern mitten durch sie hindurch.

Die Sehnsucht nach Gott

Dieser Weg führt vom Gespräch über die Männer weiter zum Gespräch über Gott, zur religiösen Suche und Sehnsucht. Wo ist der richtige Ort, um Gott zu verehren? Ist es der Berg Garizim, wo die Samaritaner zusammenkommen? Oder ist es der Tempelberg in Jerusalem, der den Juden als heilig gilt? Auch an dieser Stelle führt Jesus die Frau zu ihrer eigentlichen Sehnsucht. Nicht der Ort ist wesentlich, wo Gott verehrt wird, sondern die Art und Weise, wie zu Gott gebetet wird. Es soll im Geist und in der Wahrheit geschehen.

Zu Gott zu beten, das heißt sich den Wahrheiten des Lebens stellen, auch wenn sie nicht angenehm anzuschauen sind. Das heißt, vor Gott diese ungestillten Sehnsüchte, die eigene Bedürftigkeit, das Verlangen nach Liebe und Angenommensein hinzulegen, damit er uns durch seinen Geist verwandelt und uns zu liebesfähigen Menschen macht. Gott zu verehren und anzubeten das heißt, für einen Moment den Blick von sich weg auf ihn richten und sich von Gottes Geist beschenken lassen.

Sich Gott gegenüber öffnen

Wenn wir uns auf Gott ausrichten, so beginnt sein Geist zu wirken. Im achtsamen Sich öffnen auf Gott hin, beginnt der Strom der Liebe zu fließen. Denn das ist uns mit Gottes Geist gegeben. Er gießt mit seinem Geist die Liebe mitten in unser Herz hinein. Durch Gottes Geist werden wir selbst in eine sprudelnde Quelle verwandelt. Was unseren Durst löscht, müssen wir nicht mehr außerhalb unserer selbst suchen, sondern wir erfahren Gottes Liebe, indem wir uns der Kraft seines Geistes öffnen und uns seinem Fließen und Strömen anvertrauen.

Das Gespräch mit Jesus hat die Frau am Jakobsbrunnen verändert, ja richtig gehend verwandelt. Die Jünger kommen zurück von ihrem Aufenthalt in der Stadt. Sie wundern sich, dass Jesus mit einer Frau spricht. Aber sie merken, dass jegliches Fragen falsch am Platz wäre. Diese Frau, die zum Brunnen gekommen ist, um Wasser zu holen, diese Frau, die durstig nach dem Wasser des Lebens gefragt hat, sie ist selbst zu einer Quelle geworden. In ihr sprudelt dieses Lebenswasser, sodass sie ihren Krug stehen lässt, in die Stadt eilt und den Leuten erzählt von dem, was sie erlebt hat. Was sie bisher verleugnet, wovor sie bisher ausgewichen ist, dazu stellt sie sich. Da ist keine Furcht mehr, vor dem Gerede über ihre Männergeschichten. Da ist keine Angst mehr, von den anderen gemieden zu werden, ob ihrer ungeordneten Lebensverhältnisse. Offen und ohne Scheu bekennt sie sich zu ihrer eigenen Lebensgeschichte: „Da ist ein Mann, der mir alles gesagt hat, was ich getan habe.“ Sich der Wahrheit zu stellen, die eigenen Sehnsüchte zu kennen, sich dem Geist zu öffnen, das lässt diese Frau und uns zu lebendigen Menschen werden, die eine sprudelnde Quelle in sich haben.

Eine einfache Bitte um Wasser führt zum Leben

Eine einfache Bitte war es, anhand der Jesus mit der Frau ins Gespräch gekommen ist. „Gib mir zu trinken!“ sagt er. Gib mir, was ich jetzt brauche. Du kannst es mir geben. Was steckt nicht alles in dieser Bitte! Eine einfache Bitte gibt der Frau die Möglichkeit, ihr Leben verändernd zu gestalten. Mit seiner Bitte sagt Jesus: Ich verachte dich nicht, denn ich bin auf deine Hilfeleistung angewiesen. Du bist mir wertvoll, ich will dir begegnen, auch wenn andere sich den Mund über dich zerreißen. Lass uns miteinander ins Gespräch kommen, auch wenn es sich nicht schickt und wir unterschiedliche Glaubensansichten haben. Ich sage Ja zu dir, auch wenn andere schon längst mit Nein über dich geurteilt haben. Mögen wir selbst ein Ohr für Jesu Bitten haben, die er an uns richtet, damit wir den Weg zum Leben und zur Quelle des lebendigen Wassers finden. Amen.

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