Nach­halti­ger Überfluss

Faith Impulse

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Ruth Armeanu

Laienpredigerin


Predigt zu Johannes 10,1-10 im Gottesdienst für Groß und Klein in Wien-Floridsdorf am 30. April 2023

Predigttext Johannes 10,1-10

1„Amen, amen, das sage ich euch: Wer nicht durch die Tür in den Schafstall hineingeht, sondern anderswo einsteigt, ist ein Dieb und ein Räuber. 2Wer aber durch die Tür hineingeht, ist der Hirte der Schafe. 3Der Türhüter öffnet ihm, und die Schafe hören auf seine Stimme. Er ruft die Schafe, die ihm gehören, einzeln beim Namen und führt sie ins Freie. 4Wenn er alle seine Schafe hinausgetrieben hat, geht er vor ihnen her. Die Schafe folgen ihm, denn sie kennen seine Stimme. 5Aber einem Fremden werden sie nicht folgen, sondern sie werden vor ihm fliehen. Denn die Stimme von Fremden kennen sie nicht.“  6Dieses Gleichnis erzählte ihnen Jesus. Aber sie verstanden nicht, was er damit sagen wollte. 7Da begann Jesus noch einmal: „Amen, amen, das sage ich euch: Ich bin die Tür zu den Schafen. 8Alle, die vor mir gekommen sind, sind Diebe und Räuber. Aber die Schafe haben nicht auf sie gehört. 9Ich bin die Tür. Wer durch mich hineingeht, wird gerettet. Er wird hinein- und hinausgehen und eine gute Weide finden. 10Der Dieb kommt nur, um die Schafe zu stehlen. Er schlachtet sie und stürzt sie ins Verderben. Ich bin gekommen, um ihnen das wahre Leben zu bringen – das Leben in seiner ganzen Fülle.“ (Basisbibel)

Hirten und Schafe – was haben die denn mit uns zu tun? 

Es mag ja nicht allgemein bekannt sein, aber Schönbrunn, der Pötzleinsdorfer Schlosspark, das Cobenzl und die Donauinsel haben etwas gemeinsam: Abgesehen davon, dass sich alle diese Orte in Wien befinden, gibt es dort tatsächlich Schafe und teilweise auch Hirten bzw. Schäferinnen

Naheliegend ist das im Schönbrunner Tiergarten. Dort befindet sich hinter dem Spielplatz ein Streichelzoo, und hier laden neben anderen Tieren die kleinen Ouessantschafe zum Streicheln ein. Auf dem Tirolerhof, ganz oben im Zoo, sind Tiroler Steinschafe und Kärntner Brillenschafe aus nächster Nähe zu betrachten. Brillenschafe bewohnen zusammen mit Zwergziegen auch das Tiergehege des Pötzleinsdorfer Schlossparkes. Im Erlebnisbauernhof Landgut Wien Cobenzl wiederum gibt es nicht nur Schafe, sondern auch viele andere Tiere, und dort dürfen sie nicht nur gestreichelt, sondern sogar gefüttert werden.

Anders ist das auf Donauinsel. Dort werden seit 2019 Schafe als umweltschonende Rasenmäher eingesetzt.1 Sie grasen nacheinander auf verschiedenen Wiesenflächen. Es sind ca. 70 Schafe aus alten und seltenen Rassen, und sie werden von drei Schäfer*innen betreut. Im vergangenen Jahr haben die Schafe über 10 Hektar Wiesenfläche abgegrast, eine Fläche von rund 14 Fußballfeldern. Der Leiter der MA 45 wünscht sich, dass man auf der 21 km langen Donauinsel in Zukunft nur noch Schafe als Rasenmäher einsetzt. Das müssten aber dann ca. 1.000 Schafe sein. Wichtig wäre es, denn den Klimawandel spüren auch hier Vegetation und Tierwelt. Die Schafe sind Teil des EU-Projekts „DICCA“ (Danube Island Climate Change Adaptation), das die Anpassung der Donauinsel an den Klimawandel zum Ziel hat und das dazu beitragen soll, die Donauinsel als Ökosystem wie auch als Naherholungsgebiet zu schützen.

Nachhaltigkeit ist nichts Neues 

Schon zu Jesu Zeit betrieb man nachhaltige Weidewirtschaft. Die Schaf- und Ziegenherden wurden damals nicht wegen des Fleisches der Tiere gehalten, sondern um Wolle und Milch zu gewinnen, was zu einem schonenden und nachhaltigen Umgang mit den Tieren führte. Darum galt der Hirte im ganzen Alten Orient als ein Bild für fürsorgliches und das Leben bewahrende Führen. Und deshalb wurde dieses Bild auch für Gott und vorbildliche menschliche Herrscher verwendet. So wird Gott z.B. im Psalm 80 mit „Du Hirte Israels“ angesprochen. 

Aber leider gab und gibt es auch schlechte Hirten, und schon der Prophet Jesaja klagt: 

„Das sind die Hirten, die keinen Verstand haben; ein jeder sieht auf seinen Weg, alle sind auf ihren Gewinn aus...“ (Jesaja 56,11). 

Und bei Ezechiel heißt es sogar: „Wehe den Hirten Israels, die sich selbst weiden… Das Schwache stärkt ihr nicht und das Kranke heilt ihr nicht, das Verwundete verbindet ihr nicht, das Verirrte holt ihr nicht zurück und das Verlorene sucht ihr nicht... Und meine Schafe sind zerstreut, weil sie keinen Hirten haben, und sind allen wilden Tieren zum Fraß geworden.“ (Ezechiel 34,2-5)

Aber bei Ezechiel finden wir auch die Zusage des Herrn: „Ich werde einen einzigen Hirten über sie einsetzen, der sie weiden soll.“ (Ezechiel 34,23) Und Gott hält sein Versprechen.

Jesus, der gute Hirte

Dieser Hirte kennt jedes einzelne seiner Schafe und ruft es beim Namen. Und wenn er seine Schafe ins Freie führt, überlässt er sie nicht sich selbst, sondern geht ihnen voraus. Seine Schafe kennen ihn darum gut, und sie vertrauen ihm. Und nicht nur das! Mit seinem ersten Ich-bin-Wort geht Jesus noch weiter: „Amen, amen, ich sage euch: Ich bin die Tür für die Schafe.“

Das heißt für uns: Durch sein Kommen in die Welt, durch sein Wort und sein Wirken öffnet er uns den Weg zu Gott. Deshalb ist er die Tür zum Leben. Eine Tür, die immer und in beide Richtungen offen ist: zum Hineingehen, um Schutz und Nähe zu finden, aber auch zum Hinausgehen auf eine gute Weide – mit einem Wort: Jesus lädt uns zu einem Leben im Überfluss ein.

Wofür dieser großzügige, liebevolle Hirte steht, das wissen wir. Wir kennen sein Leben, die vier Evangelien sind voll davon: Jesus ist vor allem für die Schwachen da, für Menschen, die nichts gelten und die benachteiligt sind – und dazu gehören nach wie vor die Frauen – er heilt Kranke, weckt sogar Tote auf, ruft zur Umkehr und vergibt Menschen ihre Schuld. Und im Gegensatz zu den „Dieben“, wie er sie nennt, die die Schafe ins Verderben stürzen, gibt er sein Leben für sie hin.

Halten wir uns also zu ihm! Denn dieser Hirte strahlt Liebe aus, seine Nähe vertreibt Angst – lassen wir uns doch nicht von falschen Hirten, den „Dieben und Räubern“ verführen oder Angst einjagen. Sie sind ja nur daran interessiert, mit uns „Schafen“ Geschäfte zu machen und ihre eigenen Ziele, leider auch politische, zu verfolgen. Wie es uns dabei geht, ist denen völlig egal. 

Lassen wir uns also nicht für dumm verkaufen! Nehmen wir uns an den Schafen ein Beispiel: Wie Experten festgestellt haben, lernen Schafe aus Fehlern, haben ein gutes Gedächtnis, sind empfindsam, können Gesichter erkennen und bis zu einem gewissen Grad bewusste Entscheidungen treffen. Von wegen „dumme Schafe“!

Kennen wir Jesus, seine Stimme und seine Botschaft gut genug, um uns nicht verführen zu lassen? Haben wir seine Worte und sein Leben stets im Gedächtnis, treffen wir darum die richtigen Entscheidungen?

Verspricht er uns doch: „Ich bin gekommen, um ihnen das wahre Leben zu bringen – das Leben in seiner ganzen Fülle“ oder, wie andere Übersetzungen es ausdrücken, „ein Leben im Überfluss“. 

Überfluss und „no future“

Überfluss? Haben wir den nicht ohnehin schon in unserem Teil der Welt? Sterben an den dadurch verursachten Krankheiten nicht mehr als genug Menschen bei uns? Und zerstören die Folgen dieses Überflusses nicht unsere inzwischen gar nicht mehr so schöne Erde?

Wenn uns auch manche Reaktionen der Jugendlichen, die sich heute die „Letzte Generation“ nennen, übertrieben erscheinen – haben sie nicht recht, wenn sie meinen, dass „wir“ als die jetzige Generation ihre Zukunft aufs Spiel setzen?

„An den Häuserwänden vieler Städte in Westdeutschland steht in englischer Sprache "no future"; es sind junge, sehr vitale Menschen, die dieses Gefühl tragen. Sie können sich nicht vorstellen, ein Kind in diese Welt zu setzen, sie pflanzen auch keinen Baum mehr. Leben in seiner Fülle, das Versprechen Christi, kann ihnen nur ein müdes Lächeln abgewinnen. Ihre Trauer ist manchmal aggressiv nach außen und oft depressiv nach innen gewandt.“

Dieses Zitat stammt keineswegs aus einer aktuellen Tageszeitung, sondern aus einem Vortrag2, den die Theologin Dorothee Sölle vor fast 40 (!) Jahren im August 1983 gehalten hat, und zwar auf der 6. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Vancouver. Ihr Todestag hat sich am 27. April 2023 zum 20. Mal gejährt.

 „No future“ vor 40 Jahren – „Letzte Generation“ heute. Und wieder einmal muss man sich resignierend eingestehen: die Menschheit hat nichts dazugelernt und verweigert sich wie schon so oft der Realität.

Wege zum Leben in seiner Fülle

So lautet der Titel des Vortrags von Dorothee Sölle. Sie nimmt darin unter anderem Bezug auf den reichen Jüngling, der zu Jesus kommt, weil er zusätzlich zu seinen Besitztümern offenbar nach einem wirklich erfüllten Leben sucht. Jesu unerwartete Antwort kennen wir: 

"Verkaufe alles, was du hast, und gib es den Armen. Dann komm und folge mir nach. So wirst du einen Schatz im Himmel haben" (Markus 10,21) Jesu Worte bringen den reichen jungen Mann aber nur dazu sich traurig abzuwenden.

Wie würde ich wohl auf diese Zumutung reagieren? Wie würde es euch damit gehen – so wir denn überhaupt auf die Idee kämen, Jesus so etwas zu fragen?

„Viele Menschen in der Mittelklasse sind heute auf der Suche nach einer neuen Spiritualität. Sie wollen zu dem, was sie schon haben, Ausbildung und Beruf, Erziehung und gesichertes Einkommen, Familie und Freunde, noch etwas mehr haben… Eine Art religiöser Mehrwert für die, die eh schon überprivilegiert sind. Sie suchen die geistliche Fülle des Lebens zusätzlich zur materiellen, den Segen von oben zusätzlich zum Reichtum.“2

Die sogenannte Mittelklasse ist zugegebenermaßen heute nach der Pandemie und den damit verbundenen Folgen nicht mehr dieselbe wie früher. Aber Hand aufs Herz: Jammern wir nicht auf hohem Niveau, wenn wir unsere Lebensqualität mit der der Menschen im Großteil der Erde vergleichen?

Dorothee Sölle bringt es auf den Punkt: „Die Fülle des Lebens kommt nicht, wenn du schon alles hast. Wir müssen erst leer werden für Gottes Fülle.“

Und sie fügt ganz anschaulich hinzu: „Der Reichtum hat die Funktion einer Mauer, die viel unüberwindbarer ist als die berühmte Berliner Mauer: Wir machen uns unberührbar, unsere Mauer ist schalldicht, so dass wir die Schreie der Unterdrückten und der Armen nicht hören können.“

Das müsste uns ja ermutigen – die Berliner Mauer war überwindbar, von ihr gibt es nur noch Fragmente! Aber was Sölle noch schreibt, das sollte uns in Zeiten wie diesen zu denken geben: 

„Geld und Gewalt gehören zusammen: Wer Geld zu seinem Gott gemacht hat, der muss "Sicherheit" zur Staatsideologie machen und Aufrüstung zur politischen Priorität. Manche Christen in unseren Ländern sagen: Was ist so schlimm daran, dass wir uns durch Rüstung sichern?“2

Und es tut weh, wie aktuell das ist, was sie noch anfügt – wie immer formuliert sie schmerzhaft klar und eindeutig: 

„Reich ist die Welt, in der ich lebe, vor allem an Tod und besseren Möglichkeiten zu töten… Der Militarismus ist der größte Menschheitsversuch, Gott endgültig loszuwerden, die Schöpfung ungeschehen zu machen und die Erlösung zur Fülle des Lebens zu verhindern. Viele Christen meinen, Gewaltfreiheit sei nur im Reich Gottes möglich, auf Erden seien Krieg und Armut gegeben. Aber wer so denkt, trennt Gott von seinem Reich und wünscht sich, wie der reiche Jüngling, ein ewiges Leben ohne die Gerechtigkeit und eine Fülle des Lebens ohne die Liebe.“2

Der Weg zum wahren Leben

Wir müssen zugeben: Jesu Weg zu wahrem Leben im Überfluss ist „bei Gott“ kein leichter. 

Die Worte, mit denen Dorothee Sölle ihren Vortrag beschließt, können uns da immerhin die Richtung weisen. Sie beginnt mit einem Zitat von Teresa von Avila: „Der ganze Weg zum Himmel ist Himmel.“ 

Und ermutigend fügt sie hinzu: 

„An keiner Station dieses Weges, er mag in noch so große Dunkelheit führen, bist du allein. Wenn du dich auf die Bewegung der Liebe einlässt, wird deine Kraft gestärkt. Dein Reichtum wächst, je mehr du teilst. Wo immer du dich auf die Bewegung der Liebe einlässt, da ist die Liebe bei dir, die Fülle des Lebens.“

Und wer meint, man müsse fasten, um für die versprochene Fülle „leer“ und bereit zu sein, der oder die frage nach bei Jesaja, welche Art Fasten nach Gottes Herzen ist:

„Nimm dich des Hungrigen an und mach den Notleidenden satt“, empfiehlt Jesaja im Namen Gottes und fügt eine Verheißung an: 

„Dann strahlt im Dunkeln ein Licht für dich auf. Die Finsternis um dich herum wird hell wie der Mittag. Der Herr wird dich immer und überall führen. Er wird dich auch in der Dürre satt machen und deinen Körper stärken. Dann wirst du wie ein gut bewässerter Garten sein, wie eine Quelle, die niemals versiegt.“ (Jesaja 58,10-11, Basisbibel)

Amen.

 

Quellen: 

1 https://www.wien.gv.at/umwelt/gewaesser/donauinsel/dicca/massnahmen/schafe.html

2 https://www.lebenshaus-alb.de/magazin/005940.html

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