Von Glück und Dank­barkeit

Faith Impulse

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Esther Handschin

Pastorin, Erwachsenenbildung


Eine Predigt zu Lukas 17,11-19

Danke sagen

„Sag schön Danke“, hat man zu mir gesagt, wenn ich als Kind von jemandem ein Geschenk bekam und vor Überraschung ganz stumm blieb. „Sag schön Danke“, 9 von 10 Aussätzigen, die Jesus geheilt hat, denen scheint das niemand in ihrer Kindheit beigebracht zu haben. Ganz schön frustrierend für Jesus: Zehn Aussätzige hat er geheilt, aber nur einer von ihnen kehrt zurück und bedankt sich. 10% Erfolg, 90% Ausfall, lautet die Bilanz, eine magere Ausbeute, ein schlechtes Geschäft. Doch geht es in dieser Geschichte um den Erfolg und die Anerkennung Jesu als Heiler und Wundertäter? Ist dieser eine Geheilte der Einzige, der richtig handelt und die anderen neun profitieren einfach nur von ihrem Glück?

Glück haben

Ja, Glück haben sie alle miteinander gehabt, die zehn Aussätzigen. Wäre Jesus nicht durch ihre Gegend gezogen, dann wären sie wohl an ihrer Krankheit gestorben oder an den Folgen der sozialen Ausgrenzung. Glück haben sie gehabt, mehr als sie gerechnet haben. Sie waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Und diese neun erinnern uns daran, dass auch wir oft Glück haben in unserem Leben, meist mehr als wir verdienen. Zur richtigen Zeit am richtigen Ort, gute Beziehungen und genug Unterstützung, eine günstige familiäre Situation oder einfach begabt mit einem sonnigen Gemüt.

Glück aus sich selbst heraus?

Doch einfach Glück zu haben, das ist noch nicht das, was uns näher zu Gott bringt. So erzählt es uns die Geschichte von der Begegnung Jesu mit den zehn Aussätzigen. Wer Glück hat wie sie, meint leicht, dass dieses Glück eine Selbstverständlichkeit sei. Vielleicht haben sich die neun gesagt: Die Natur hat es so eingerichtet, dass sich die heilenden Kräfte durchsetzen. Wir gehören halt zu denen mit guten Selbstheilungskräften. Wir behaupten manchmal Ähnliches, vielleicht nicht, wenn wir krank sind. Aber wir rühmen uns, dass wir unser Glück selbst geschaffen haben, dass der Erfolg im Beruf und das Glück in unserer Familie auf unserem Boden gewachsen sind. Wir klopfen uns auf die Schulter und loben uns selbst für das, was wir erreicht haben.

So wird Glück zu Dankbarkeit

Der eine Aussätzige verhält sich anders. Er lobt nicht sich selbst, sondern Gott. Das Glück, das ihm widerfahren ist, das Glück, dass er zur richtigen Zeit am richtigen Ort war und so Jesus begegnet ist, der ihn geheilt hat, das schreibt er nicht sich selbst zu. Er sieht, dass hinter seinem Lebensglück Gottes Handeln und seine wirksame Gegenwart zu erkennen sind. Dass er nun gesund ist, das hat er Gott zu verdanken und darum lobt er Gott mit lauter Stimme. Das macht seinen Glauben aus, dass er sein eigenes Lebensglück mit Gott in Verbindung bringt und darum kehrt er zu Jesus zurück und dankt ihm.

Glaube ist die Gabe,

Glück in Dankbarkeit gegen Gott zu verwandeln.

Gerd Theißen
Professor für Neues Testament

Eine Frage des Glaubens

Wenn Jesus nun fragt: „Wo sind die übrigen neun?“ so fragt er nach dem Glauben dieser Menschen. Es geht Jesus darum, dass sie auch etwas davon entdecken, dass sie – und wir – für ihr Lebensglück Gott Danke sagen können. Sicher, Gott beschenkt uns mit vielen Gütern des Lebens und mit beglückenden Momenten. Und er schenkt dieses Glück auch Menschen, von denen manche sagen würden, sie haben es nicht verdient. Aber mit seiner Frage macht uns Jesus darauf aufmerksam, dass Glaube keine Einbahnstraße ist. Es geht nicht darum, sich einfach beschenken zu lassen mit Lebensglück. Der Weg des Glaubens führt weiter. Glaube ist vor allem ein Antworten, ein Antworten auf das Vertrauen, das Gott uns entgegenbringt, indem er uns so vielfältig beschenkt. Und zu diesem Antworten gehört das Danke sagen.

Der eine Mann, der zurückgekehrt ist, er hat verstanden, dass der Glaube und das Dankesagen zusammengehören. Darum sagt Jesus zu ihm: „Dein Glaube hat dir geholfen.“ Oder wie man es auch sagen könnte: „Dein Glaube hat dich gerettet.“ Die neun anderen sind durch Jesus auch von ihrer Krankheit geheilt worden, sie haben eine Heilung erfahren. Bei diesem einen aber ist die Heilung zum Heil geworden. Er hat Heil erfahren, er ist gerettet worden, weil er darin Gottes Hilfe wahrgenommen hat. Danke zu sagen ist darum für ihn keine Pflichtübung, kein Muss, keine anerzogene Gewohnheit wie das „Sag schön Danke“. Danke sagen ist für ihn ein Ausdruck seines Glaubens, eine Antwort auf das Wunder, das Gott an ihm getan hat.

Und wie steht es mit unserem Lebensglück, mit unseren Wundern und Heilungen, die wir erfahren? Bringen wir sie mit Gott in Verbindung? Nehmen wir all das, was er uns schenkt selbstverständlich hin oder ist es ein Grund um Danke zu sagen? Ist der Dank für uns eine Pflichtübung? Ist unser Dank ein Ausdruck unseres Glaubens? Vielleicht sind ja die Größenverhältnisse in unserem Leben ähnlich wie in dieser Erzählung: In zehn Fällen, wo uns Gott auf irgendeine Weise beschenkt, uns mit Glück begabt, erkennen wir einmal, dass er der Geber dieser Gabe ist. Und in den neun anderen Fällen schreiben wir es der Natur, uns selbst, den glücklichen Umständen zu oder dass wir so tüchtig gelernt haben oder uns bewährt haben.

Glaube als Prozess

Glaube ist nicht nur ein einmaliges Ereignis. Glaube ist nicht die Reaktion auf ein wunderbares Geschehen, sei es eine Heilung, ein besonderer Zustand, eine bedeutsame Lebenswende. „Zack, ich bin geheilt und jetzt glaube ich mal. Und wenn Gott kein Wunder tut, dann glaube ich eben nicht.“ Glaube ist vielmehr ein Prozess.

Ein Beispiel 

Dazu eine kleine Geschichte aus der Gemeinde Wien-Floridsdorf. Wir haben Ende Juni 100+1 Jahre Gemeindeleben in der Bahnsteggasse 27 in Wien-Floridsdorf gefeiert. Es war wegen der Pandemie um ein Jahr verschoben. Ich habe einige ehemalige Mitglieder und Pastoren gebeten, die eine oder andere Geschichte aufzuschreiben, die sie in Floridsdorf erlebt haben.

Michael Nausner, der längere Zeit an unserer Theologischen Hochschule in Reutlingen als Professor der Theologie angehende Pastoren und Pastorinnen unserer Kirche unterrichtet hat, hat mir folgenden Text geschrieben:

„Mein Weg mit der Floridsdorfer EmK Gemeinde begann, als ich im Spätsommer 1983 von Linz nach Wien zog. Ich hatte im Sommer in Linz meine Matura bestanden, und begann im Herbst desselben Jahres in der Buchhandlung der Methodistenkirche (BMK) in der Trautsongasse zu arbeiten. Zwischen 1983 und 1985 ging ich ein und aus in der Bahnsteggasse.

Für mich war es eine Zeit des Übergangs, des Suchens nach meinem Weg, und als 18-Jähriger war ich dankbar für die Begleitung, die ich in der Gemeinde erfuhr. Eine wichtige Entscheidung, vor die ich mich gestellt sah, war diejenige zwischen der Musik und der Theologie. Was sollte der Schwerpunkt in meinem zukünftigen Leben sein? Wozu fühlte ich mich berufen? Ein Teil dieses Entscheidungsprozesses war es, in verschiedenen Zusammenhängen Flöte zu spielen, aber nicht zuletzt auch Predigten zu hören und selbst zu predigen. Ich konzertierte mit der Flöte und nahm an Wettbewerben teil; und ich hörte verschiedene Prediger predigen, 

Rückblickend glaube ich, dass die Predigt von Laienprediger Manfred Pöll im Herbst 1983 eine frühe Weichenstellung darstellte für meinen späteren Entschluss, Pastor zu werden. Der 9. Oktober 1983 war ein regnerischer Tag, an dem ich mich nur widerwillig auf den Weg in die Bahnsteggasse machte. Mein jugendliches Gemüt war schwer, und ich fühlte mich verwirrt und unsicher, was meinen zukünftigen Lebensweg betraf. Herr Pöll hatte für seine Predigt den Text über die Heilung der zehn Aussätzigen gewählt (Lukas 17,11-19). Während der Predigt, oder bereits während der Textlesung – ich weiß es nicht mehr so genau –, bewegte mich plötzlich die Tatsache, dass die zehn Aussätzigen „unterwegs“, also „im Gehen“, rein wurden.

Für mich, der ich so um Klarheit bezüglich meines Lebensweges rang, wurde diese Beschreibung des Reinwerdens als etwas Dynamischem zu einem Trost. Das Heil trat hier nicht als etwas Statisches, als eine intellektuelle Überzeugung, sondern als etwas zu Tage, das unterwegs erfahren wird (und vielleicht oft erst rückblickend).

Diese Predigt legte so einerseits einen Grundstein für meine spätere und immer noch lebendige Gewissheit bezüglich des Heils als einer Bewegung (oder eines bewegten Werdens) und nicht eines Zustandes, und andererseits gab sie mir wohl auch den entscheidenden Anstoß dazu, selbst mit dem Predigen zu beginnen, mich also selbst in der Erwartung eines Heilwerdens auf den Weg zu machen. Sechs Wochen später, am 20. November 1983, stand ich selbst auf der Kanzel in der Bahnsteggasse und hielt meine erste Predigt (über den Text Kolosser 1,15-20). So wurde für mich eine Erfahrung im kleinen Gemeindesaal der Gemeinde Wien-Floridsdorf zu einem wichtigen Meilenstein auf meinem Lebensweg, der seither bewegt geblieben ist.

Später erst sind mir zwei andere Aspekte dieses dichten Textes in Lukas 17,11-19 wichtig geworden, nämlich einerseits die Tatsache, dass das Heilwerden eigentlich erst mit der dankbaren Rückkehr eines einzigen der zehn Aussätzigen zu Jesus geschah. Die Dankbarkeit für das Heilwerden gehört zum Heilsprozess dazu. Die zehn Aussätzigen wurden zwar rein, aber Heil im tieferen Sinne erlebte gemäß dem Text nur der dankbar zu Jesus zurückkehrende Aussätzige.

Der zweite Aspekt, der mir wichtig geworden ist, ist die Tatsache, dass dieser dankbar Zurückkehrende ein Samariter, also ein Fremder war. Das betont der Text ausdrücklich. Für mich ist das Lernen von (kulturell und religiös) Anderen, wozu dieser Text durch Jesu Worte einlädt, zu einem wichtigen Bestandteil meines theologischen Weges geworden.

Aber die Worte aus Lukas 17,14 vom „unterwegs rein Werden“ haben für mich eine besondere und bleibende Bedeutung gewonnen. Als ich 2017 nach zwölf Jahren als Professor für Systematische Theologie von der Theologischen Hochschule Reutlingen nach Schweden aufbrach, bekam ich sie in griechischen Buchstaben und wunderschön eingerahmt von einer Studentin geschenkt. Sie hängen heute über meinem Schreibtisch und begleiten mich so sichtbar auf meinem weiteren Lebensweg. Für die Weggabelungen während meiner Zeit in Wien-Floridsdorf zwischen den Jahren 1983-1985 bin ich bis heute dankbar.“

Glaube als ein Prozess des Wachsens

Glaube will also wachsen und vertieft werden. Er ist daher ein Hin und Her zwischen Gott und Mensch, ein Beschenktwerden von Gott her und ein Antworten von unserer Seite durch Lob, durch Dank, durch Hingabe. Glaube ist ein Gerufenwerden durch Gott und ein Hinhorchen und Gehorchen des Menschen. Glaube bedeutet, dass ich mehr und mehr darauf achte, wo Gott in meinem Leben wirkt, auch durch Dinge und Ereignisse, die ich bisher einfach für Glück gehalten habe. Gott gegenüber Danke zu sagen, das hilft uns, diesen Glauben einzuüben. Oder um es noch einmal mit den Worten von Gerd Theißen zu sagen: „Glaube ist die Gabe, Glück in Dankbarkeit gegen Gott zu verwandeln.“ Amen.

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