Aus der Tiefe rufe ich zu dir

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Bernhard Lasser

Laienprediger


Predigt zu Psalm 130

Psalm 130 

Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir…

1Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir
2Herr, höre meine Stimme
Lass deine Ohren merken auf die Stimme meines Flehens!
3Wenn du, Herr, Sünden anrechnen willst –
Herr, wer wird bestehen?
4Denn bei dir ist die Vergebung,
dass man dich fürchte.

5Ich harre des Herrn, meine Seele harret,
und ich hoffe auf sein Wort.
6Meine Seele wartet auf den Herrn
mehr als die Wächter auf den Morgen;
mehr als die Wächter auf den Morgen
7hoffe Israel auf den Herrn!
Denn bei dem Herrn ist die Gnade
und viel Erlösung bei ihm.
8Und er wird Israel erlösen
aus allen seinen Sünden.

Ps. 130, Luther 2017, die-bibel.de 

Ein Pilgerlied

Liebe Gemeinde,

Vor den Lesungen haben wir gemeinsam Psalm 130 gebetet. „Aus der Tiefe rufe ich, Herr zu dir.“[1] Dieses Lied war einst ein Pilgerlied, das von Juden und Jüdinnen auf dem Weg zu den großen Festen in Jerusalem gesungen wurde. Da Jerusalem auf dem Berg liegt wurde aus der Tiefe gesungen. Wer hinauf möchte ist am Anfang unten. Den Menschen, die nach Jerusalem pilgerten, ging es so. Der Weg zum Tempel in Jerusalem führt nach oben. Die Tiefe meint hier aber nicht nur den Beginn des Weges, sondern auch menschliche Tiefen, Nöte und Ängste. So steht im hebräischen Text die Mehrzahl "Tiefen". Es sind verschiedene Tiefen und Nöte, die wir Menschen auf verschiedene Art und Weise kennen. Die Tiefe wird im Psalm nicht weiter ausgeführt. Es kann jede menschliche Not sein. In verschiedenen Notsituationen können Menschen so beten. Die Tiefe, die Not, die Angst ist kalt und finster. Wärme und Licht kommen nicht in die Tiefe. Ein Mensch ist verzweifelt und wendet sich Gott zu: „Herr, höre meine Stimme! Lass deine Ohren merken auf die Stimme meines Flehens!“[2] Hier zeigt sich die Hilflosigkeit des Menschen, der sich an Gott wendet. Die erste Bitte ist, gehört zu werden. Dieser Mensch wendet sich an Gott, weil er oder sie sich selbst nicht mehr helfen kann. Mit eigener Anstrengung kann dieser Mensch der Tiefe nicht entkommen. Gott wirkt dabei sehr entfernt. Gott ist verbunden mit der Höhe und dem Licht, nicht mit der Tiefe. Auch das Heiligtum Gottes, der Tempel, wurde oben am Berg in Jerusalem gebaut. Nahe am Licht in der Wärme, und dort wohnte die Herrlichkeit Gottes. Das Gebet kommt aber aus der Tiefe zu Gott.

Im Gebet denkt der betende Mensch über Gott nach. Wenn Gott Sünde oder Schuld anrechnen würde, könnte der Mensch nicht bestehen. Vielleicht besteht die Tiefe in der sich der Mensch befindet aus Sünde oder Schuld. Jedenfalls denkt er oder sie nach der dringenden Bitte gehört zu werden über Gottes Vergebung nach. Und gerade in der Notsituation zeigt sich die Angewiesenheit auf die Gnade Gottes. Die menschlichen Anstrengungen helfen nicht mehr weiter. Es steht auch nicht in der Macht des Menschen, Gott zu beeindrucken. Aus eigener Leistung kann der Mensch nicht schuldfrei leben. Im menschlichen Zusammenleben kommt es zu Verletzungen, sie können teilweise nicht vermieden werden. Oft ist man Machtverhältnissen ausgesetzt und manchmal ist es einfach nicht abschätzbar, wie Sachen von anderen verstanden werden. So gibt es verschiedene Gründe, warum Verletzungen im Umgang miteinander geschehen und teilweise nicht vermieden werden können. Egal wie gut ich versuche zu sein, Gott kann ich damit nicht beeindrucken und auch nicht beeinflussen. Das Gebet geht weiter:

„Denn bei dir ist die Vergebung,        
dass man dich fürchte.“[3]

Dieser Vers des Psalms war überraschend für mich. Wie sind Vergebung und Furcht miteinander verbunden? Vor der Vergebung muss ich mich doch nicht fürchten. Furcht habe ich davor, dass mir nicht vergeben wird. Wenn über meine Sünden geurteilt würde, könnte ich nicht bestehen. Statt dem Wort Furcht wäre hier Ehrfurcht das bessere Wort. Es geht nicht um eine Furcht, die mit Angst verbunden ist. Es geht um ein umfassendes Staunen, eine fassungslose Ehrerbietung Gott gegenüber. Die Vergebung der Sünden ist zugesagt, trotz unserer Tiefen, trotz Sünde, Schuld und Versagen sind wir von Gott angenommen. Das ist eine frohe Botschaft, Gott ist ein Gott der Vergebung. Der betende Mensch betet weiter:

„Ich harre des Herrn, meine Seele harret,      
und ich hoffe auf sein Wort.   
Meine Seele wartet auf den Herrn,     
mehr als die Wächter auf den Morgen[.]“[4]

Diese Hoffnung auf Gott kommt aus der Ehrfurcht. Die ganze Hoffnung des betenden Menschen ist auf den vergebenden Gott gerichtet. Für die Nachtwächter war ihre Aufgabe mit dem Morgen erfüllt, daher haben sie sehnsüchtig auf den Morgen gewartet. Danach war die Zeit der größten Gefahr eines Angriffs vorüber, am Tag war alles besser zu sehen. Damit konnte auch anders auf Angriffe reagiert werden. Und doch wartet der Betende mehr auf Gott als die Wächter auf den Morgen. Mit dem Morgen verschwindet die Finsternis und das Leben erwacht wieder. Der betende Mensch wartet auf Gott. Er oder sie wartet auf Wärme und ein neues Erwachen des Lebens. Dafür muss nichts gemacht werden, Gott wird ihn oder sie aus der Tiefe und der Finsternis holen. Die Frage warum Gott den Menschen noch nicht aus der Tiefe geholt kommt in dem Gebet nicht auf. Der betende Mensch hat keinen Einfluss darauf, wann und wie Gott eingreift. Es bleibt aber die Gewissheit, dass Wärme und Licht zurückkehren werden. Das Gebet geht weiter:

„Denn bei dem Herrn ist die Gnade   
und viel Erlösung bei ihm.     
Und er wird Israel erlösen      
aus allen seinen Sünden.“[5]

Der betende Mensch staunt über die Gnade Gottes und die Bereitschaft zu vergeben. Es ist so viel Gnade. Sie gilt aber nicht nur dem Menschen, der sich im Gebet Gott zuwendet. Er ist immer noch in der Tiefe, schaut aber nicht mehr auf sich. Nun geht es um die Mitmenschen. Der betende Mensch ermutigt sie, auch ihr Vertrauen in Gott zu setzen. Die Tiefe, aus der das Gebet begonnen wurde, ist nicht mehr im Vordergrund. Nun steht die Gnade Gottes im Mittelpunkt, die allen Menschen gilt.

Der betende Mensch hat sich im Gebet verändert. Das Gebet hat ihn oder sie verändert. Die Not, die Tiefe aus der das Gebet begonnen hat, spielen nun keine Rolle mehr. Vielleicht hat es mit "Not lehrt beten" angefangen, das Ende des Gebetes ist ganz anders. Am Ende des Gebetes geht es um Gnade und Erlösung. Diese gilt nicht nur dem oder der Betenden, sondern auch den Mitmenschen. Was bleibt ist die Gewissheit der Erlösung. Die Tiefen und Nöte sind nicht tatsächlich überwunden, sie treten in den Hintergrund. Im Vordergrund steht die Gewissheit der Vergebung und der Erlösung.

Das Gebet verändert nicht Gott, mit Gebeten kann der Mensch keine Macht auf Gott ausüben. Das Gebet hat aber den betenden Menschen verändert. Bei diesem Psalm können wir die Veränderung der betenden Person nachvollziehen. Die Perspektive auf die Tiefe, die Nöte, die Ängste hat sich im Gebet verändert. Herausgekommen aus der Tiefe in einem direkten Sinn ist der Beter oder die Beterin aber nicht. Wir wissen nichts von Gottes Eingreifen in die Situation. Aber zum Schluss des Gebets staunt der betende Mensch über die Gnade und Vergebung Gottes, die allen gilt.

Ich will mit euch nun darüber nachdenken, wie wir uns im Gebet verändern oder wie Gott uns im Gebet verändert.

Im Gebet kann ich alles vor Gott bringen. Gerade die Psalmen zeigen das: Loben, klagen, fragen, bitten, danken, toben und sogar Rache und Hass wird vor Gott gebracht. Im Gebet kann über alles mit Gott gesprochen werden. Gott hört zu. Was wir im Gebet vor Gott bringen zeigt, was uns wichtig ist. Vielleicht zeigt es auch eine Bereitschaft, uns selbst zu verändern. Für mich werden im Gebet oft Sachen klarer.

Besonders in der Corona-Situation ist mir das Gebet auf eine Art und Weise wichtig geworden, die ich zuvor nicht kannte. In einer Situation, die viel Abstand zu Menschen erforderte war im Gebet eine unerwartete Nähe zu Gott möglich. Aber auch verschiedenen Menschen fühlte ich mich im Gebet verbunden. Menschen ins Gebet aufzunehmen verändert den Umgang mit ihnen. Und auch zu einem anderen Umgang mit mir selbst führt das Gebet: Ich kann Sachen, die mir wichtig sind und auf die ich keinen Einfluss habe vor Gott bringen. Mit meinen Grenzen stehe ich vor Gott und kann gewiss sein, Gott weiß um das, was mir wichtig ist. Und Gott stellt meine Füße auf weiten Raum. Das Gebet eröffnet mir neue Perspektiven. Lassen wir uns darauf ein.

Amen.

 

 


Zitatangaben: 

[1] Gesangbuch der Evangelisch-methodistischen Kirche, Nr. 714.

[2] Gesangbuch der Evangelisch-methodistischen Kirche, Nr. 714.

[3] Gesangbuch der Evangelisch-methodistischen Kirche, Nr. 714.

[4] Gesangbuch der Evangelisch-methodistischen Kirche, Nr. 714.

[5] Gesangbuch der Evangelisch-methodistischen Kirche, Nr. 714.

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