Was tröstet?

Glaubensimpuls

Bild von Esther Handschin
Esther Handschin

Pastorin, Erwachsenenbildung


Predigt zu Offenbarung 21,1-4

Bei einer gesamtösterreichischen Tagung der evangelischen Pfarrerinnen und Pfarrer sollte ich eine Abendandacht halten. Das Thema der Tagung lautete „Liturgien in riskanten Zeiten“. Die Tagung fand in Mittersill statt, unweit des Ortes Kaprun, wo vor 25 Jahren 155 Menschen ums Leben kamen, darunter der Enkel eines evangelischen Pfarrers.

Es ging um die Frage, wie seelsorgerliche Begleitung geschieht oder wie Trauergottesdienste gestaltet werden können, wenn die Betroffenheit und die Fassungslosigkeit über ein Ereignis sehr groß sind. Ich hatte allerdings mit meiner Abendandacht ein anderes Problem. Was sage ich in einem Kreis von Kolleginnen und Kollegen, die mir alle viel kompetenter in dieser Frage vorkamen? Mir fehlt ja oft genug die Sprache, wenn es um viel einfachere Dinge geht. Ich habe damals einen Text geschrieben mit dem Titel: „Was tröstet?“

Was tröstet?

In den Arm genommen werden.

Laute Musik.

Frische Luft einatmen.

Die beste Freundin anrufen.

 

Was tröstet?

Der Schnuller.

Ins Kino gehen.

„Befiehl du deine Wege“.

Ein Nutellabrot.

 

Was tröstet?

Mit den Kindern knuddeln.

Beten.

Shoppen gehen.

Losheulen.

 

Was tröstet?

Mit einem Kumpel auf ein Bier gehen.

Mich zurückziehen.

Eine Liedzeile.

Schokolade.

 

Was tröstet?

Die Mama anrufen.

Blues.

Ein Kuss.

Putzen.

 

Was tröstet?

Ein Bad nehmen.

Stricken.

Laufen gehen.

Bach hören.

 

Was tröstet?

Dass Österreich den Eurovision Songcontest gewonnen hat.

Dass es in dieser Welt Menschen mit Mitgefühl gibt.

Dass Kinder Platz zum Spielen finden.

Dass Gott immer noch da ist.

Esther Handschin
Pastorin

Was tröstet?

Was tröstet? Das ist eine gute Frage. Denn es nützt wenig, in einem Buch nachzuschlagen oder die künstliche Intelligenz dazu zu befragen. Was tröstet, das ist nicht das Wissen, das wir erlernen und im Kopf haben. Was tröstet, das ist das Erfahrungswissen, das wir schon als kleine Kinder von unseren Bezugspersonen lernen. Was tröstet ist noch Thema im Kindergarten oder in der Volksschule, aber darüber hinaus wird es schon schwieriger. Was tröstet, das ist in jedem Lebensalter wieder neu und es verändert sich, wenn sich die Welt ändert.

Welchen Trost bietet uns die Bibel? Im letzten Buch, dem Buch der Offenbarung finden wir einiges dazu. Wir haben einige Trostverse aus Kapitel 21 gehört. Da ist von einem neuen Himmel und einer neuen Erde die Rede, wenn der erste Himmel, die erste Erde und das Meer vergangen sein werden. Da wird uns erzählt, dass Gott nicht nur nahe bei den Menschen ist, sondern mitten unter ihnen wohnt. Da wird uns eine Welt vor Augen gemalt, wo Tränen, Tod, Trauer, Klage und Schmerz der Vergangenheit angehören.

Die Stimme der Religionskritik

Ist das nicht alles Augenwischerei?, höre ich die kritische Stimme in mir fragen. Da wird uns eine heile Welt vorgezeichnet, die genau alles das enthält, was uns abgeht. Ist das nicht Wasser auf die Mühlen der Religionskritiker? Sie behaupten, dass Menschen mit solchen Bildern immer auf das Jenseits vertröstet wurden. Sie sagen: Wenn gläubige Menschen vom Himmel oder von der anderen Welt Gottes erzählen, dann projizieren sie damit nur ihre eigenen Träume ins Jenseits. Das sind alles nur Wunschbilder, die genährt werden von dem, was Menschen hier abgeht und was sie auf Erden vermissen.

Der Himmel der Hungrigen ist gefüllt mit gutem Essen. Im Himmel der Unterdrückten und Gefolterten gibt es vor allem eines: Gerechtigkeit. Diejenigen, die täglich Schmerzen auszuhalten haben oder die körperlich beeinträchtigt sind, für die ist der Himmel ein Ort der Schmerzfreiheit oder ein Ort, wo ich mich frei bewegen kann, ohne jegliche Einschränkung. Im Himmel der Umweltfreunde gibt es kein Artensterben mehr, sondern saubere Luft und erträgliche Temperaturen. Und im Himmel der Kriegsopfer fallen keine Bomben mehr, sondern es ist tiefer Friede. Alle diese Bilder hindern die Menschen daran, ihre Lebenswelt jetzt zum Besseren zu verändern, so sagen die Religionskritiker.

Trotzdem braucht es Trost

Doch nicht immer haben wir die Kraft oder sind wir in der Lage, etwas an unserer Lebenssituation zu verändern. Dann sind es gerade solche Bilder, wie wir sie aus der Offenbarung des Johannes gehört haben, die uns Hoffnung geben und uns Mut machen, so manches in dieser Welt auszuhalten, was wir nicht ändern können und was uns nicht leicht fällt.

Der Gott mit dem Taschentuch

Da ist dieses für mich so faszinierende Bild: „Gott wird jede Tränen von ihren Augen abwischen.“ (V4) Das ist ein Bild des Trostes und der Fürsorge. Gerne schreiben wir das Trösten und Tränen abwischen den Müttern zu. Meine eigenen Erfahrungen sind da allerdings anders. Mein Vater hatte immer ein großes Taschentuch aus Stoff bei sich. Meist war es noch sorgfältig gefaltet. Da konnte ich meinen Schmerz, meine Wut, meinen Schrecken und meine Enttäuschung hineinheulen. Das Taschentuch meiner Mutter hingegen war nur ein Viertel so groß wie das meines Vaters. Das hat irgendwie nie gereicht für meine kindliche Frustration. Und es war eindeutig vor der Zeit als Papiertaschentücher zum Alltagsgegenstand wurden.

Was aber heißt das, dass uns Gott selbst trösten wird? Es erzählt uns, dass viele Menschen gar niemanden haben, der sie tröstet und in den Arm nimmt, wenn diese Welt wieder einmal schwer auszuhalten ist. Wenn Gott uns selbst tröstet, dann hält er dieses Taschentuch in der Hand, beugt sich zu uns und nimmt unseren Schmerz und unser Leid wahr. Wer ließe sich da nicht gern trösten?

Der  Gott mitten unter den Menschen

Auch das andere Bild, das Johannes zuvor sieht, erzählt uns von einem Gott, der die Nähe der Menschen sucht und sich in ihre Mitte begibt: „Sieh her: Gottes Wohnung ist bei den Menschen! Er wird bei ihnen wohnen, und sie werden seine Völker sein. Gott selbst wird als ihr Gott bei ihnen sein.“ (V3)

Auch hier ist Gott nicht mehr jenseits und fern der Menschen. Er wohnt in ihrer Mitte, so als ob man jederzeit bei ihm vorbeischauen kann. Nur ein Haus weiter und schon ist man da. Wir brauchen Gott nicht einen tollen Tempel zu bauen, wohin wir ihn in gewisser Weise auch abschieben. Um ganz bei den Menschen sein zu können, genügt ihm eine Hütte, ein Zelt, eine leichte Behausung, wie uns das griechische Wort andeutet. So ist es möglich, dass wir keine großen Distanzen überwinden müssen, um bei Gott zu sein.

Gott kommt in meine Gegenwart

Bei beiden Bildern wird Gott auch aus einen fernen, zukünftigen Zeit in die Gegenwart hineingeholt. Der christliche Glaube nährt sich an den Geschichten und Bildern der biblischen Botschaft. Wer in seinem Leben Gott begegnet ist und erfahren hat, dass seine Verheißungen in Erfüllung gehen, geht davon aus, dass Gott auch die Schranke des Todes oder das Ende dieser Welt überwinden kann. Wer mit Gott in Beziehung steht und seine Liebe erlebt hat, für den oder die ist der Tod nicht das Ende aller Beziehungen.

Warum sollte Gott, der durch die Auferstehung den Tod überwunden und besiegt hat, nicht auch bleibend in Beziehung mit den Menschen stehen, die für uns durch den Tod unerreichbar geworden sind? Warum sollte Gott, der Himmel und Erde geschaffen hat, nicht auch über das Ende dieser Welt hinaus seiner Bestätigung treu bleiben, dass alles, was er geschaffen hat, gut ist? Warum sollen die Bilder, die Menschen gefunden haben, um in der Bibel von ihren Erfahrungen mit Gott zu erzählen, uns nicht etwas von dem vermitteln, was ihnen und uns Zuversicht und Hoffnung schenkt? Warum sollten diese Vorstellungen, die Menschen Kraft gegeben haben auch in schwierigen Situationen zu leben und diese auszuhalten, nicht auch uns Mut machen und Kraft geben?

Glaube als Kraft um die Ungewissheit auszuhalten

Was es heißt, mit Hilfe solch starker Bilder Gottes Nähe in die eigene Gegenwart herbeizuholen, um den Widrigkeiten des Lebens etwas entgegensetzen zu können, das habe ich von Asylwerbern in Salzburg gelernt. Vor zwei Jahrzehnten konnte es durchaus sieben, acht Jahre dauern, bis in Österreich ein Asylantrag bearbeitet wurde. Wie soll man eine solch lange Zeit der Ungewissheit aushalten? Sämtliche Lebensplanungen und oft auch die Familienzusammenführungen wurden dadurch blockiert. Und gleichzeitig plagen einen die Erinnerungen und die schrecklichen Erfahrungen, weswegen man das Heimatland verlassen, die Familie und das bisherige Leben zurückgelassen hat, um an einem neuen Ort Zuflucht zu suchen.

Der Glaube ist dann etwas von dem Wenigen, was einem geblieben ist und das einem ein Stück Heimat in der Fremde schenkt. Mit einer Gemeinde Gottesdienst feiern zu können, Gott anzubeten, gemeinsam zu singen und sich an Gottes Wort aufzurichten, das wurde für sie zum Höhepunkt der Woche. Für eine Stunde wurde für diese Menschen erfahrbar: Wir sind von Gott geliebt. Wir loben unseren Gott, so wie wir es immer getan haben. Wir stellen uns in das Licht seiner Gegenwart. Die Alpträume, die Erniedrigungen, die unsichtbare Folter durch das lange Warten: Für eine oder zwei Stunden sind sie nicht relevant. Für eine oder zwei Stunden sind wir nicht Menschen zweiter Klasse, sondern wir stehen in der ersten Reihe vor Gott, um ihn zu loben.

Die Seele atmet in Bildern

Noch ein Gedanke zum Schluss. Ich finde es bezeichnend, dass die Bibel an dieser Stelle mit Bildern spricht und nicht mit theologisch richtigen Sätzen. Denn über das, was uns Hoffnung gibt, ist es besser in poetischer Sprache zu sprechen. Die Poesie lässt unsere Seele atmen. In der Offenheit poetischer Bilder und nicht in der klaren Definition ist der Raum, wo unsere Seele atmen und Gott zu uns sprechen kann.

So geben uns die Bilder vom Himmel Kraft, an einen Gott der Liebe zu glauben, mitten in einer lieblosen Welt. Sie lassen uns auf die Barmherzigkeit Gottes vertrauen, mitten in Treulosigkeit und Verrat. Sie helfen uns den Frieden zu suchen, mitten in Streit und Hass. Sie sind ein Stück von Gottes Ewigkeit mitten in unserer Gegenwart. Sie sind Gottes Vorgeschmack der Auferstehung und des Lebens in seiner Gegenwart, wie wir es einmal erwarten dürfen. Amen.

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