Bin ich nur ein Gott, der nahe ist…?
Glaubensimpuls
Pastor, Superintendent
"Bin ich nur ein Gott, der nahe ist, spricht der HERR, und nicht auch ein Gott, der ferne ist?" (Jeremia 23,23)
Der Monatsspruch für den September ist ein wenig überraschend. "Bin ich nur ein Gott, der nahe ist, spricht der HERR, und nicht auch ein Gott, der ferne ist?" Eigentlich würde es man ja anders herum erwarten: dass uns gesagt wird, dass Gott uns immer nahe ist; selbst wenn wir vielleicht ab und zu das Gefühl haben, dass er uns fern ist. Doch hier ist es genau anders herum. "Bin ich – nur – ein Gott, der nahe ist…?"
Gott ist immer wieder anders, als wir denken. Ja sogar anders, als wir meinen, es denken zu sollen. Gott überrascht uns. Und vielleicht ist uns das gar nicht immer so angenehm.
Ich finde, dieser Gedanke hat auch durchaus etwas Befreiendes. Gott nimmt sich die Freiheit nicht immer nur der liebe, nette Gott zu sein, den Prediger*innen (wie ich?) so gerne verkündigen. Gott nimmt auch für sich in Anspruch, einmal fern und unbequem zu sein. Zum Beispiel, indem er nicht einfach alles für gutheißt, was wir in unserer Welt so treiben.
Befreiend ist der Gedanke aber auch in anderer Weise. Wenn Gott nicht immer nur lieb, nett und nahe ist, darf ich auch einmal mit ihm unzufrieden sein.
Mir scheint, auf diese Weise kann ich zu einer viel ehrlicheren Gottesbeziehung kommen: Wenn ich mir zugestehe, dass ich manchmal auch unzufrieden bin mit Gott, weil er mir gerade fern ist. Und wenn ich Gott ebenso zugestehe, dass er mein Tun und Treiben hinterfragt und nicht immer nur gnädig über das lächelt, was wir Menschen so treiben. Einen solchen Gott kann ich ernst nehmen. Und ich fühle mich auch selbst viel mehr ernstgenommen als von einem Gott, der sowieso immer nur lieb und nett ist und mich dabei eigentlich gar nicht sieht.