Wann sind wir gemeint?

Glaubensimpuls


Predigt zu Genesis 21,8-11: Hagar, Sara, Abraham: Wann sind wir gemeint?  

Und das Kind wuchs heran und wurde entwöhnt. Und Abraham machte ein großes Mahl am Tage, da Isaak entwöhnt wurde. 
Und Sara sah den Sohn Hagars, der Ägypterin, den sie Abraham geboren hatte, dass er spielte und lachte. 
Da sprach sie zu Abraham: 
Vertreibe diese Magd mit ihrem Sohn; denn der Sohn dieser Magd soll nicht erben mit meinem Sohn Isaak. 
Die Sache war sehr böse in Abrahams Augen, denn es ging um seinen Sohn. 
Aber Gott sprach zu ihm: 
Lass es dir nicht missfallen wegen des Knaben und der Magd. Alles, was Sara dir gesagt hat, dem gehorche; denn nach Isaak soll dein Geschlecht genannt werden. Aber auch den Sohn der Magd will ich zu einem Volk machen, weil er dein Sohn ist. 
Da stand Abraham früh am Morgen auf und nahm Brot und einen Schlauch mit Wasser und legte es Hagar auf ihre Schulter, dazu den Knaben, und entließ sie. 
Da zog sie hin und irrte in der Wüste umher bei Beerscheba. Als nun das Wasser in dem Schlauch ausgegangen war, warf sie den Knaben unter einen Strauch und ging hin und setzte sich gegenüber von ferne, einen Bogenschuss weit; denn sie sprach: Ich kann nicht ansehen des Knaben Sterben. Und sie setzte sich gegenüber und erhob ihre Stimme und weinte. 
Da erhörte Gott die Stimme des Knaben. 
Und der Engel Gottes rief Hagar vom Himmel her und sprach zu ihr: Was ist dir, Hagar? Fürchte dich nicht; denn Gott hat gehört die Stimme des Knaben dort, wo er liegt. Steh auf, nimm den Knaben und führe ihn an deiner Hand; denn ich will ihn zum großen Volk machen. 
Und Gott tat ihr die Augen auf, dass sie einen Wasserbrunnen sah. 
Da ging sie hin und füllte den Schlauch mit Wasser und gab dem Knaben zu trinken. Und Gott war mit dem Knaben. 
Der wuchs heran und wohnte in der Wüste und wurde ein Bogenschütze. Und er wohnte in der Wüste Paran und seine Mutter nahm ihm eine Frau aus Ägyptenland.

Liebe Schwestern und Brüder die heutige Predigt habe ich mir den Text aus dem Buch Genesis vorgenommen. Es geht um Abraham, Sara, Hagar und Ismael. Und natürlich auch um die Rolle, die Gott oder sein Engel in dem Ganzen spielt. Einerseits greife ich diese Geschichte auf, weil Hagar die Person ist, der unsere heurige Jahreslosung gilt: „Du bist ein Gott, der mich sieht“, ist der Ausspruch Hagars, als sie das erste Mal in der Wüste ist. Weil sie vor Sara geflohen ist, die sie misshandelt hat. Und anderseits denke ich, dass wir anhand dieser Geschichte viel über uns selbst lernen können.

Vor zwei Wochen bin ich beim Kirchenkaffee gefragt worden, ob wir als Christinnen und Christen denn überhaupt das Erste Testament brauchen. Und ich habe geantwortet: Unbedingt. Unbedingt brauchen wir das Erste Testament, weil hier in einer großen Bandbreite die Schwierigkeiten und Probleme unseres Menschseins verhandelt werden. Das wahnsinnig Schöne und Bedeutsame am Ersten Testament ist seine schonungslose Offenheit gegenüber Krisen und Fehlverhalten. Gepaart mit der unendlichen Treue Gottes, seiner Gnade und seinem Handeln. Und viele Aussagen des Juden Jesus oder viele seiner Handlungen können wir nur verstehen, wenn wir das Erste Testament kennen. Die Welt Jesu, in der er lebt, ist die Welt des Ersten Testaments.

Man mag mit manchen Geschichten, besonders aus heutiger Sicht, nicht einverstanden sein. Man mag Manches zu brutal, zu streng oder geschichtlich unglaubwürdig finden. Aber immer kann ich mich zu solchen Geschichten verhalten. Ich kann schauen, was sie in mir zum Klingen bringen. Und genau das möchte ich heute verstärkt machen: Die heute gehörte Geschichte von der Vertreibung von Hagar und Ismael nützen, um diese Fragen zu stellen. Die Fragen, die auch uns im Hier und Heute betreffen. Dazu werde ich einfach Schritt für Schritt durch die heutige Geschichte gehen und ich fange bei Vers 8 an: „Als Isaak entwöhnt wurde, veranstaltete Abraham ein großes Festmahl.“

Das klingt zunächst einmal harmlos. Oder natürlich. Natürlich feiern wir gerne Feste mit unseren Kindern, das bekannteste Fest ist wohl der Geburtstag. Aber so sehr ich auch gesucht habe – für seinen erstgeborenen Sohn Ismael hat Abraham kein Festmahl, nicht einmal ein kleines Festmahl gegeben. Alle die einwenden, ja dann war es halt nicht wichtig genug um es aufzuschreiben, möchte ich fragen: Warum ist es dann wichtig, es bei Isaak zu erwähnen?

Zeigt uns nicht dieser kleine unscheinbare Satz, dass wir in einer Welt leben, die mit zweierlei Maß mißt? Für den einen wird ein Fest gefeiert. Für den anderen nicht. Und wissen wir nicht aus unseren eigenen Erfahrungen, welch schlimme Folgen das nach sich ziehen kann? Wer selbst Kinder hat, überlege doch einmal bitte, was in der Familie los gewesen wäre, wenn der Geburtstag des einen Kindes gefeiert worden wäre und der andere nicht. Ungleichheit zwischen den Geschwistern. Aber das wird ja im Laufe unserer heutigen Geschichte noch verschärft.

Das nächste große Thema finden wir in den nächsten Versen: „Eines Tages beobachtete Sara, wie der Sohn, den die Ägypterin Hagar Abraham geboren hatte, spielte und lachte. Da sagte sie zu Abraham: Vertreibe diese Magd und ihren Sohn!“ Denn der Sohn dieser Magd soll nicht zusammen mit meinem Sohn Isaak Erbe sein.“

Was mir besonders stark an dieser Szene aufgefallen ist, ist dieser menschliche Zug zum Hass. Wie tief und wie weit muss sich dieser Hass in Sara aufgebaut haben, dass sie angesichts eines spielenden und lachenden Kindes zu dieser Aussage kommt. Also auch hier gehe ich davon aus, dass sich der oder die Verfasser dieses Textes etwas überlegt haben, sonst hätten sie es nicht so zusammengestellt. Normalerweise löst doch ein lachendes Kind Glücksgefühle im Menschen aus. Man freut sich mit. Oder zumindest schafft ein lachendes Kind eine gute und angenehme Stimmung. Hier spürt man einen tiefen Hass, den dieses Kind in Sara auslöst. Das Kind, dessen geistige Mutter sie selbst ist! Es war Saras Idee, ihre Sklavin Hagar ihrem Mann Abraham zu geben, damit sie durch sie zu Kindern kommt. Vorbei. In ihrem Hass sieht Sara nur noch den Sohn dieser Magd und ihren eigenen Sohn. Dass beide den gleichen Vater haben, spielt überhaupt keine Rolle mehr. 

Und hier frage ich mich und uns, was wir daraus lernen können? Wo sind wir gefährdet zu hassen? Wo sind wir gefährdet, uns die eigene Geschichte schön zu reden? Unsere eigenen Entscheidungen zu verleugnen? Wie gesagt, es war Saras Idee, es war ihr Plan, dem Ismael sein Leben verdankt. Sind auch wir bereit, Verantwortung für unsere Ideen und Pläne zu übernehmen?

Abraham erkennt das Böse, denn es geht um seinen Sohn. Vers 11: "Die Sache war sehr böse in Abrahams Augen, denn es ging um seinen Sohn“ Und hier braucht es das erste Eingreifen Gottes, denn welcher Vater hat keine Liebe für seinen Sohn. Das ist ja nachvollziehbar. 

Warum tut Gott das? 

Die Frage ist berechtigt, aber schwer zu beantworten. 
Ich vermute sie hat damit zu tun, dass die gesamte Geschichte von Abraham immer mit der Verheißung Gottes zu tun hat: Ich werde dich zum Vater vieler Nationen machen. Und diese einzelnen Nationen haben ihren Ursprung dann in den Söhnen Abrahams. Die Geschichte der Juden geht eben auf Isaak und dessen Sohn Jakob zurück. Die Söhne Jakobs werden die Namensgeber für die Stämme Israels.

Jedenfalls ermöglicht dieses Eingreifen Gottes den nächsten Schritt Abrahams. Wie er es tut, ist wohl einer der Höhepunkte dieser Geschichte. Höhepunkt in dem Sinn, was wir davon lernen können. 
Inhaltlich wohl der erschreckendste Tiefpunkt der ganzen Erzählung. Auch nach mehrmaligem Lesen und Bedenken bin ich fassungslos: 
„Früh am Morgen stand Abraham auf, nahm Brot und einen Schlauch Wasser und gab es Hagar, legte es ihr auf die Schulter und übergab ihr das Kind und entließ sie.“ 
Der Mann, der im 24. Kapitel des Buches Genesis zehn Kamele losschicken wird, beladen mit kostbaren Sachen, um eine Braut für seinen Sohn Isaak zu werben, schickt Hagar und seinen eigenen Sohn mit einem Stück Brot und einem Schlauch Wasser in die Wüste.

Das ist nicht nur unfassbar geizig, sondern in Wahrheit ist das aus menschlicher Sicht ein Todesurteil. 

Denn die Wüste hat man in dieser Zeit nur als Gruppe, als möglichst starke Gruppe überlebt. In der Wüste gibt es nicht nur sehr lebensfeindliche Bedingungen wie kein Wasser und Nahrungsmangel, da gibt es auch Raubtiere und Räuber. Wie soll eine Frau das mit einem 14- oder 15-jährigen überleben? 

Weil Gott sich kümmern wird? 
Weil Gott zugestimmt und Abraham verheißen hat, dass auch aus Ismael ein großes Volk werden wird. 
Rechtfertigt das das Wie? 
Welche Startbedingungen Hagar und Ismael bekommen?

Wie gesagt, heute möchte ich diesen Text ins Heute übertragen: 
Wie kann man sowas nur machen, Abraham? 
Das ist ein Urteil. 

Steht es uns zu, zu urteilen? 
Wie oft nehmen wir sichere Todesurteile in Kauf?  
An den Außengrenzen Europas? 
Wie oft verweigern wir unseren Nächsten die Hilfe, die sie brauchen? 
Dadurch, dass wir unsere Möglichkeiten eben nicht teilen, sondern alles für uns selbst beanspruchen?

Wie ist es denn um unser Mitgefühl bestellt? Im Hinblick auf die Solidarität mit den Hungernden. Nach Brot oder Gerechtigkeit hungernden Menschen auf diesem Planeten?

Was wir außerdem aus dieser Textstelle lernen können, wird wahrscheinlich oft überlesen oder überhört. Vor zwei Wochen habe ich die Redewendung Bärendienst erklärt. Eine Handlung, die gut gemeint ist, aber Schlechtes verursacht. In dieser Textstelle lernen wir das Gegenteil: Wie scheinbar Böses auch Gutes bewirken kann. Schlecht oder böse ist es, Hagar in die Wüste zu schicken. Aber Gutes verheißt das kleine Wort „entließ sie.“ Denn das bedeutet, dass Hagar jetzt keine Sklavin mehr ist. Sie wird von Abraham entlassen. Nicht verstoßen. Das ist ein kleiner, aber bedeutsamer Unterschied. Sie ist jetzt ein freier Mensch.

Auch hier könnte ich fragen, was das mit uns hier und heute zu tun hat. Und ich denke, es lohnt sich dieser Frage nachzugehen: Wo haben wir in unserem Leben – nicht unbedingt durch eine böse Tat, vielleicht das auch – aber wo haben wir durch unsere kleinen Taten, Großes bewirkt? Wo ist durch uns etwas Gutes entstanden? Diese Frage finde ich deshalb lohnenswert, weil wir darin dankbar werden können. Weil wir es bis jetzt ja übersehen haben. Weil es uns nicht bewusst war. Genau so, wie die meisten Hörerinnen und Hörer diesen Freispruch für die Sklavin Hagar nicht mitbekommen.

Mit meinem letzten Punkt möchte ich nochmals den Bogen zur Anfangsfrage dieser Predigt spannen: 
Brauchen wir als Christinnen und Christen das Erste Testament? 
Unbedingt.

Wir können soviel daraus lernen. Und dabei spielt es wirklich keine Rolle, ob jetzt alles völlig logisch oder geschichtlich richtig ist. Beispiel gefällig? 
Ich hatte ja schon gesagt, dass Ismael wohl 14 oder 15 Jahre alt gewesen sein muss. Denn Abraham war 86 Jahre alt, als er Ismael bekommen hat und 100 Jahre alt als er Isaak bekommen hat. Wie heißt es im heutigen Text im Vers 15: „Als das Wasser im Schlauch zu Ende war, warf sie das Kind unter einen Strauch.“ 
Entschuldigung, einen mindestens Vierzehnjährigen wirfst du nicht mehr unter einen Strauch. 
Kann nicht sein. Der ist einfach zu groß. 
Da legst du dich selber unter einen Strauch bevor ein Vierzehnjähriger müde geworden ist. 

Ist aber für die gesamte Erzählung nicht von entscheidender Wichtigkeit, denn der entscheidende Punkt ist, dass Gott die beiden rettet. Und ihr Leben weitergeht. Weitergeht, weil Gott sich gekümmert und sie gesehen hat. 

Er ist tatsächlich ein Gott, der uns sieht. 
Und diese Jahreslosung möge uns weiter durch unser Leben und durch dieses Jahr begleiten.

Amen.

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