Das Problem mit der Liebe

Glaubensimpuls


Predigt zu 1. Mose 29,15-31 – Wie Jakob zu seinen beiden Frauen, Lea und Rahel, kam

Liebe Gemeinde, meine heutige Predigt bezieht sich auf den Text, den wir aus dem ersten Buch Mose gehört haben. Die Geschichte erzählt, wie Jakob zu Laban, dem Bruder seiner Mutter Rebekka kommt und um dessen jüngere Tochter Rahel dient, sprich für Laban arbeitet. Jakob wird dann von Laban betrogen, dient noch einmal sieben Jahre und heiratet schließlich beide Töchter, Lea und Rahel.

Soweit so harmlos, werden sich viele hier im Raum denken. Und sich wohl insgeheim fragen: Warum predigt der Frank jetzt schon wieder zu einem Text aus dem Ersten Testament? Ist nicht der Text aus dem Römerbrief weitaus spannender und müsste man nicht dazu etwas sagen?

Zugegeben, der Text aus dem Römerbrief ist großartig und man könnte wirklich viel dazu sagen. Aber ich habe mich trotzdem anders entschieden. Warum? Weil ich gerade ein großartiges Buch lese und mir soviel dabei klar wird, dass ich es mit euch teilen möchte. Mit diesem Buch von Jonathan Sacks erlebe ich, warum John Wesley das Forschen in der Schrift als Gnadenmittel bezeichnet hat. Gnadenmittel, damit meint Wesley, eine verlässliche, erprobte Art und Weise um Gott nahe zu kommen; um Gott erleben zu können. Und deshalb, genau deshalb soll es heute noch einmal das Erste Testament sein. Genauer gesagt soll es das 1. Buch Mose sein. Aber dazu komme ich jetzt.

Überschrieben habe ich diese Predigt mit dem Titel: Das Problem mit der Liebe.

Das Problem mit der Liebe. 

In Kombination mit dem heute ebenfalls gehörten Text aus dem Römerbrief müsste das jetzt eigentlich eine Sturmflut an Empörung auslösen: Wie kann man es wagen die Liebe in Frage zu stellen? Ist die Liebe nicht die allerzentralste Botschaft von uns Christinnen und Christen? Wem fällt nicht sofort das Hohe Lied der Liebe aus dem 1. Korintherbrief ein? Ohne die Liebe ist doch alles nichts? Ist nicht Gott selbst die Liebe?

Um es vorweg zu nehmen und um möglichst niemanden hier schon zu verlieren: Ja, natürlich. Die Liebe Gottes ist zentraler Bestandteil unseres Glaubens. Das bestreite ich niemals und in keinem Fall.

Aber was ich euch heute näher bringen möchte, ist, wie das 1. Buch Mose uns in aufeinander aufbauenden Geschichten die Problematik der Liebe aufzeigt. Nämlich schlicht und ergreifend dadurch, dass sie uns von den Nicht-Geliebten, den Übervorteilten, den Ausgegrenzten und den Abgelehnten erzählt. Mehr noch: Wir erkennen durch die Geschichten die Kehrseite, die Problematik menschlicher Liebe und das ist der Hass. Und der Hass ist es, der zur Gewalt führt. Die Ablehnung führt zum Tod, die Übervorteilung führt zu mörderischen Gedanken, die Zurücksetzung führt zu großem Leid.

Nur mit diesem letzten Satz habe ich drei große Erzählungen skizziert. Kain und Abel. Die Ablehnung des eigenen Opfers führt zum Tod des Bruders. Esau und Jakob. Die Übervorteilung durch Jakob, der seinem Bruder dessen Segen stiehlt, führt zu mörderischen Gedanken bei seinem Bruder Esau. Und heute: Lea und Rahel. Die Zurücksetzung – wie hieß es heute: Jakob liebte Rahel mehr als Lea – führt zu großem Leid. Ein Leid, das Gott sieht und so heißt es im letzten Vers, den wir heute gehört haben: „Als der Herr sah, dass Lea zurückgesetzt wurde, öffnete er ihren Mutterschoß, Rahel aber blieb unfruchtbar.“ Was folgen wird, ist ein erbitterter Wettstreit zwischen den beiden Schwestern.

Schwestern!

Ich meine, wieviele Menschen können Bände davon erzählen, welche Schwierigkeiten sie mit ihren Geschwistern, sei es Bruder oder Schwester, haben? Oder zumindest mit einem Bruder? Oder einer Schwester? Und wie oft spielt dabei die Stellung in der Familie eine Rolle? Als Jüngste oder als Ältester? 

Ich jedenfalls finde es unglaublich spannend, wie das in den Geschichten des 1. Buches Mose deutlich wird. Besonders wenn man mal ein wenig genauer zuhört beziehungsweise hinschaut.

Und ich glaube, man kann hier wirklich von einer Problematik der Liebe sprechen. Jedesmal wenn es um Liebe geht entsteht ein Konflikt. Genau elf Mal kommt das Wort Liebe im 1. Buch Mose vor und jedesmal entsteht ein Konflikt.

Warum ist das so?

Warum das so ist – ich versuche einmal eine ganz einfache Antwort: Weil die Liebe nicht neutral ist. 

Es gehört zum Wesen der Liebe, dass sie nicht neutral, sondern emotional ist; dass es hier um Gefühle geht; m Leidenschaft, um Parteinahme, um Zuneigung – um Liebe eben.

Dass wir an einen Gott glauben, der uns liebt, unterscheidet uns einerseits von den antiken Göttern zur Zeit der Bibel, denen die Menschen mehr oder weniger egal waren. Die in ihrer eigenen Welt gelebt haben und ab und zu halt mit den Menschen gespielt haben. Und der Glaube an einen liebenden Gott unterscheidet uns anderseits auch von den Menschen, die nicht an Gott glauben. Denn dort ist es dann Schicksal, Glück oder natürliche Selektion.

Es ist also einerseits großartig, dass Gott uns liebt und dass es die Liebe gibt. Aber durch die biblischen Geschichten aus dem 1. Buch Mose wird eines unmißverständlich klar: 

Liebe allein ist nicht genug!

Liebe allein ist deshalb nicht genug, weil was passiert dann mit den Nicht-Geliebten? Was ist dann mit Menschen wie Lea? Man kann eine Gesellschaft, ja nicht einmal eine Familie, allein auf Liebe aufbauen.

Deshalb braucht es Gerechtigkeit!

Liebe ist immer auf die Einzelne oder den Einzelnen bezogen. Sie ist persönlich. Gerechtigkeit gilt für alle. Gerechtigkeit ist universal. 

Und genau das zeigt uns der heutige Text: „Als der Herr sah, dass Lea zurückgesetzt wurde, öffnete er ihren Mutterschoß, Rahel aber blieb unfruchtbar.“ Gott sieht Leas Demütigung und schafft eine Ausgleich – er gibt Lea Kinder. Eines dieser Kinder, Levi, wird einmal die berühmtesten Anfüher und die berühmteste Anführerin in der Geschichte von Israel zeugen: Moses, Aaron und Miriam. Die ersten Geschwister in der Geschichte der Bibel, die es schaffen werden ohne Geschwisterkonflikt auszukommen. Zumindest im Groben und ohne die fatalen Auswirkungen, die wir im 1. Buch Mose noch lesen können. 

Wobei es auch hier faszinierend ist, wie die einzelnen Geschichten aufeinander aufbauen und sich immer mehr in Richtung Versöhnung und eben die Abschaffung dieses Geschwisterkonflikts entwickeln. 

Das wird besonders deutlich, wenn man sich jeweils die letzte Szene der einzelnen Erzählungen anschaut. Am Ende der ersten Erzählung von Kain und Abel ist Abel tot und Kain trägt das Mal eines Mörders. Eines Mörders, der geschützt wird und nicht umgebracht werden darf. Am Ende der zweiten Geschichte zwischen Ismael und Isaak stehen beide am Grab ihres Vaters Abraham. Die beiden Brüder finden also wieder zueinander. Am Ende der dritten Geschichte zwischen Esau und Jakob fallen sich die Brüder um den Hals und weinen. Am Ende der letzten Geschichte kommt es zur Aussöhnung und Vergebung zwischen Josef und seinen Brüdern.

Was will uns das sagen?

Also ich persönlich nehme drei Hauptgedanken aus dem heutigen Text und aus den Ausführungen von Jonathan Sacks zum 1. Buch Mose mit, die meine heutige Zusammenfassung oder Conclusio sein werden.

Erstens: Liebe ist das Wesen Gottes und er hat mich als geliebtes Kind in diese Welt gesetzt. Das heißt, ich bin gewollt und kein Zufall der Natur. Das führt dazu, dass auch ich zur Liebe fähig bin; und dass diese Liebe nach Beziehung strebt; Beziehung zu Gott und die Beziehung zu meinem Nächsten. Es ist in mir angelegt, dass ich lieben kann und dafür danke ich Gott!

Zweitens: Liebe, besonders menschliche Liebe muss sich eingestehen, dass sie nicht neutral ist. Ich kann die Person A nicht gleich wie die Person B lieben, weil A und B unterschiedlich sind. Es geht nicht. Wenn ich mir das, besonders im Zusammenhang meiner Familie, als Kind oder Vater anschaue und es akzeptiere, dann werde ich freier und handlungsfähiger. Bereit zu vergeben, weil es losgelöst wird von Schuld. Es ist nicht meine Schuld, dass ich den einen mehr liebe als den anderen. Im Sinne eines guten Zusammenlebens muss ich versuchen gerecht zu sein. Und ich kann versuchen gerechter zu werden. Es mag schon sein, dass der Konflikt zwischen Geschwistern in uns angelegt ist, aber wir müssen das nicht als von Gott gegeben akzeptieren. Wir können dagegen ankämpfen, indem wir uns in die Lage des Anderen versetzen, statt uns als Opfer zu sehen.

Und der dritte Punkt ist: Gott, der Schöpfer aller Dinge und so auch von mir, hat das Problem mit der Liebe erkannt. Die Liebe ist zentral, sie ist großartig – aber sie kann eben nicht alles. Deshalb hat Gott den Bund geschaffen. Den Bund, der alle mit einschließt und niemanden mehr ausschließt. Es gibt einen Bund Gottes mit der Menschheit – das ist Noah. Und es gibt einen Bund Gottes mit den Kindern von Jakob – das ist Israel. Ganz Israel ist erwählt und so entsteht Heil statt Unheil. Der Bund ist sozusagen die Ablehnung der Ablehnung. 

Etwas, das die Liebe – bei all ihren Vorzügen – nicht leisten kann. 

Amen.

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