Von Zu­frie­den­heit und Ge­rech­tig­keit

Glaubensimpuls

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Stefan Schröckenfuchs

Pastor, Superintendent


Gedanken aus der Wärmestube

"Gut, dass es heute wieder ein bisschen wärmer ist!", sagt Herr Pavel freundlich, während er sich am Gehsteig die Hände mit Desinfektionsmittel einreibt. Herr Pavel (Name geändert) ist einer der Gäste unserer "Wärmestube", die wir auch im zweiten Pandemiejahr nur als Essensausgabe betreiben können. Herr Pavel ist dennoch froh. Das Essen ist frisch gekocht und schmeckt, wie er sagt, immer hervorragend. Und er spart sich außerdem ein bisschen etwas. Und wenn, wie heute, die Sonne scheint, kann er auch die Heizung ausschalten. Das spart noch mehr. Herr Pavel hat 20 Jahre in Österreich gearbeitet. Davor war er in Polen, Italien und anderen Ländern. Jetzt lebt er von einer sehr kleinen Pension hier in Wien. "Wenn du nicht irgendwelche Süchte hast, wie Rauchen oder Trinken, dann kommst du damit gut durch", sagt Herr Pavel. Und lächelnd ergänzt er: "Ich bin zufrieden." 

Das Gespräch macht mich nachdenklich. Ich kenne viele Menschen, die nicht darauf angewiesen sind, die Heizung zurückzudrehen oder ihr Mittagessen bei einer Essensausgabe zu beziehen und denen es dennoch schwer fällt zu sagen: Ich bin zufrieden. Auch ich ertappe mich immer wieder dabei, nicht zufrieden zu sein mit dem, was gerade ist. Ob es gelingt, zufrieden zu sein, hängt gewiss nicht allein von dem ab, was ich besitze und worüber ich verfügen kann. Das hat mir das Gespräch mit Herrn Pavel wieder einmal in Erinnerung gerufen. 

Nachdenklich machen mich aber auch die Nachrichten von steigenden Preisen für Strom, Gas und Lebensmittel. Diese Preissteigerungen treffen Menschen wie Herrn Pavel besonders hart. Wird er auch künftig mit seiner kleinen Pension zurechtkommen?

Auch eine andere Nachricht dieser Tage macht die Sorge um Menschen wie Herrn Pavel besonders unerträglich: "Das Vermögen der zehn Reichsten verdoppelte sich während der Pandemie", berichtet unter anderem Die Zeit Anfang Jänner. Soziale Ungleichheiten haben sich einem Bericht der Organisation Oxfam zufolge in der Corona-Pandemie noch verstärkt. Während sich das Vermögen der zehn reichsten Milliardäre verdoppelt habe, lebten mehr als 160 Millionen Menschen zusätzlich in Armut.

Eines der Hauptthemen der Bibel Alten wie Neuen Testaments ist das Thema der Gerechtigkeit. Gerechtigkeit, die darin besteht, Arme nicht auszubeuten, Schutzlose zu schützen und sich nicht auf Kosten anderer zu bereichern. Gerechtigkeit, die "Shalom" ermöglicht: Frieden und Wohlergehen für alle Menschen. Von solcher Gerechtigkeit sind wir als Menschen dieser Welt weit entfernt. 

Unsere Wärmestube wird an den Unrechtsstrukturen unserer Welt nichts ändern. Sie bietet aber eine kleine Hilfestellung für jene in unserer Nachbarschaft, die es schlechter erwischt haben als andere. Und sie hilft mir auch, den Blick für das zu bewahren, was im Leben zählt. Dafür, dass Zufriedenheit nicht von großen Besitztümern abhängt. Und dafür, dass Gerechtigkeit wichtiger ist als irgendwelcher Luxus. 

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