So­li­da­ri­tät

Glaubensimpuls


Predigt zur Lazarusgeschichte (Lk 16,19-31): Wie kommen wir ins Tun?
Available in english too - just switch to english with the language button.

Liebe Schwestern und liebe Brüder!

Wir feiern heute Erntedank. Und haben dazu als Evangeliumslesung diesen Text mit der Hölle gehört. Na, wie wird er denn das zusammenbringen wollen, der Pastor?

Das ist eine gute Frage und es ist euer gutes Recht sie zu stellen. 
Ich habe mir diese Frage auch gestellt. 
Und möchte folgende Überlegungen dazu mit euch teilen.

Zunächst möchte ich ein paar Dinge betonen, die mir im Zusammenhang mit der Geschichte wichtig erscheinen. Zum Beispiel die Frage, an wen richtet sich der Text?

Auffällig ist, dass der Arme einen Namen hat. Sein Name ist Lazarus. 
Vom Reichen wissen wir nur, dass er „der Reiche“ ist. Für mich ein klarer Hinweis darauf, dass Gott das Elend in dieser Welt sieht. Das Elend hat einen Namen. Die Opfer haben einen Namen. 
Und das Erschütternde ist, auch der Reiche kennt diesen Namen! 
„Sende Lazarus, damit er die Spitze seines Fingers ins Wasser tauche und mir die Zunge kühle.“ 

Ebenfalls auffällig ist, dass der Arme stirbt und von Engeln in Abrahams Schoß getragen wird. Ein unmittelbarer, persönlicher, liebevoller Zuspruch.

Vom Reichen heißt es, er starb und wurde begraben. Dann findet er sich in der Hölle wieder. Wie er dorthin gekommen ist, wird überhaupt nicht erwähnt.

Das bedeutet, man kann an dieser Stelle festhalten, dass dieser Text an alle Armen dieser Welt gerichtet ist und sagt: Ich, Gott, kenne dich mit Namen. Ich sehe dich und dein Elend und dir wird Trost widerfahren. Du bist keine Nummer, du gehst nicht unter, in der namenlosen Flut von Millionen – nein, sondern du bist Lazarus.

Diese Individualität ist bei den Reichen dieser Welt ganz offensichtlich nicht das Ziel dieses Textes. Und damit bleibt es der Hörerin oder dem Hörer überlassen, ob sie oder er sich dieser Gruppe zugehörig fühlt oder nicht. Auffallend ist wiederum, dass hier der größte Gesprächsbedarf besteht. Lazarus kommt gar nicht zu Wort. Sein Elend spricht für sich selbst und wird von Gott gesehen. 

Der Reiche beginnt den Dialog mit Abraham. Erstens möchte er eine Linderung seiner Qualen erreichen und zweitens möchte er seine fünf Brüder warnen. Drittens glaubt er dann auch zu wissen wie es geht: Wenn jemand von den Toten zu ihnen ginge – dann – ja dann würden sie Buße tun. Ein frommer Wunsch. Für mich bleibt es ein geschickt platzierter Hinweis auf die Bedeutung von Jesu Tod und Auferstehung.

Zwei Beobachtungen möchte ich in dieser Auseinandersetzung zwischen dem Reichen und Abraham festhalten. Abraham beschreibt einerseits die große Kluft zwischen den beiden Orten nach dem Tod und Abraham betont anderseits die entscheidende Bedeutung von Mose und den Propheten.

Die große Kluft kann von allen Beteiligten nicht überwunden werden. Nicht vom Reichen, nicht von Abraham und auch nicht von Lazarus. Und was das bedeuten könnte ist mir vor zwei oder drei Wochen im Gespräch mit einer Frau aus Wien deutlich geworden. Sie meinte – bezugnehmend auf meine Predigt zur Gerechtigkeit Gottes als eine wiederherstellende statt einer strafende Gerechtigkeit: Aber das sei schon immer ihre Vorstellung oder ihr Trost gewesen, dass Gott so Menschen wie Hitler oder Stalin ordentlich einheizen werde. Dass sie einmal in voller Länge für ihre Taten bezahlen müssen.

Diese Haltung oder dieses Bild ist für mich bezeichnend für die Kluft, die von Menschen nicht überwunden werden kann. Das habe ich mir im Moment des Hörens gedacht. 

Natürlich kann ich mir vorstellen, dass diese Ansicht oder diese Gefühle stark mit der Identifizierung mit den Opfern zusammenhängen. Ich kann mich da schwer hineindenken, denn ich bin kein solches Opfer. Ich bin weder durch ein Konzentrationslager noch durch eine sibirische Gefangenschaft gegangen. Viel menschliches Leid kenne ich nur vom Hörensagen. In Wahrheit bin ich in keinster Weise befugt auch nur für ein einziges Opfer zu sprechen.

Aber – und ich glaube das habe ich auch dieser Frau geantwortet – aber ich bin froh, dass ich das nicht entscheiden muss. Ich bin froh, dass das Gottes Aufgabe ist und sein wird. Und meine persönliche Hoffnung ist, dass Gott diese Kluft überwinden kann. Wie auch immer – aber der Liebe ist nichts unmöglich.

Die zweite Beobachtung im Bezug auf den Dialog zwischen dem Reichen und Abraham betrifft die Aussage über Mose und die Propheten. Ich weiß nicht, wie ihr das seht, aber meiner Meinung nach hat Abraham völlig recht. Es ist alles gesagt. In Wahrheit gibt es keinerlei Ausreden. Kostprobe gefällig? 

Aus dem 3. Buch Mose (19,18b): „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst, ich bin der Herr.“
Aus dem Propheten Amos (5,24): „Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.“

Die Frage, die sich alle Reichen dieser Welt stellen müssen ist: Warum hast du diese Worte Gottes nicht ernst genommen? Warum bist du leichtfertig darüber hinweg gegangen? Siehe, du hast das Elend gekannt. Du kanntest sogar seinen Namen. Sein Name ist Lazarus.

Und hier, liebe Gemeinde, meine ich, dass man ein Brücke schlagen darf zu Erntedank. Denn was ist Erntedank?

Für mich ist Erntedank der Versuch, unsere Dankbarkeit gegenüber allem, was wir von Gott geschenkt bekommen, zum Ausdruck zu bringen. Nicht nur für die Früchte des Feldes oder der Bäume wollen wir danken, sondern für die generelle Versorgung, die wir durch Gott erfahren. Gott sorgt für uns, dass wir haben, was wir zum Leben brauchen. Das schließt nicht nur die Nahrung ein, sondern auch unsere Gesundheit, unsere Arbeit, unsere Familie, Freunde und Bekannte. Es schließt alles ein. Alles kommt schlußendlich von Gott und heute wollen wir diesen Dank sichtbar machen und aussprechen.

Wenn die Wahrnehmung dieser Fülle nicht dazu führt, dass wir bereit werden zu teilen, dann wüsste ich nicht, was sonst dazu führen soll. 

Genauso wie wir durch Mose und die Propheten wissen, wie wir handeln sollen, genauso zeigt uns die Wahrnehmung der Fülle, dass wir uns keine ängstlichen Sorgen um die Zukunft machen müssen. Keine Sorgen um die Zukunft.

Oh ja, ich weiß, dass wir eine Teuerungswelle erleben. 
Ich weiß, dass die Energiepreise steigen. 
Ich weiß, dass dies für viele Familien und für uns als Kirche eine Herausforderung wird.

Aber!

Aber ich hege die Hoffnung, dass es uns gelingt, die Solidarität wieder zu entdecken. Zu beherzigen, dass für alle genug da ist, wenn wir bereit sind zu teilen.

Ja, ich glaube, dass wir dazu ehrlich sein müssen.
Ja, ich glaube, dass wir in unseren Familien oder gemeinsam eine Verzichtsdebatte führen müssen. 
Auf was kann ich verzichten? Was brauche ich wirklich? 
Was kann ich hergeben, damit jemand anderes auch genug hat?

Sollten wir nicht auch einmal darüber reden, wie ungerecht die verschiedenen Entlohnungen sind? Dass zum Beispiel ein Arzt doppelt soviel verdient wie die Krankenschwester oder dreimal soviel wie der Pfleger? Arbeiten nicht alle ihre 40 Stunden? 

Ist es dein Verdienst, dass du auf Grund deiner Herkunft Zugang zum Studium hattest, ein anderer Mensch aber nicht? Als unglaublich gestresster, selbstständiger, für viele Mitarbeitenden verantwortlicher Chef – willst du tauschen mit dem Müllabfuhrmenschen, dem Gestank und der Tatsache jeder Witterung ausgesetzt zu sein?

Ungerechtigkeit hat einen Namen. Sie heißt Lazarus.

Ich hoffe, dass es uns gelingt über diese Themen ins Gespräch zu kommen. Nicht anklagend, sondern nachdenkend. Nicht mit dem Messer auf der Brust, sondern mit dem Wunsch zu lieben und Anteil zu nehmen. Gottes Zukunft gemeinsam sichtbar zu machen.

Stichwort gemeinsam: Ja, vielleicht brauche ich andere Menschen, um mich aus den eigenen Lügen zu befreien. Wo ich mir die Dinge schön rede. Wo ich lieber weg- statt hinschaue.

Das mag jetzt für manche Person hart klingen.
Übergriffig. Sozialistisch. Schmerzhaft. 
Aber was ist die Alternative?

Ich sage es in meinen Predigten immer wieder und betone auch heute: Es sind meine Gedanken und niemand muss ihnen folgen. Aber es betrifft mich selbst. Ich rede von mir, nicht von anderen.

Meine Hoffnung ist, dass uns Erntedank beflügelt und wir die Fülle wahrnehmen können, die ihren Ursprung in Gott hat. Aus dieser Erfahrung heraus, dass Gott uns trägt, wünsche ich mir, dass wir teilen. Wie schön wäre es, wenn die Solidarität aufersteht und wir entdecken, dass wir gemeinsam mehr als genug haben.

Amen.

Ihr Browser ist veraltet!

Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser, um diese Website korrekt darzustellen. Den Browser jetzt aktualisieren