Jeremia: Prophet für die Völker

Glaubensimpuls

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Martin Obermeir-Siegrist

Pastor, Kinder- und Jugendwerk


Predigt zu Jeremia 1,4-5 und 17-19.

Zum Bibeltext Jeremia 1,4-5 und 17-19

Predigt im ökumenischen Gottesdienst der EmK Linz mit der Vöest-Gemeinde.

Jeremias Berufung

Was ist ein Prophet, eine Prophetin? Was macht prophetisches Denken, Reden und Handeln aus? Woher nehmen Prophetinnen und Propheten die Kraft, trotz aller Anfeindungen und Widerstände, die göttliche Botschaft zu verkünden?

Liebe Schwestern und Brüder! Wenn wir nach Antworten auf diese Fragen suchen, gibt es wohl kein geeigneteres Buch in der Bibel, als das des Propheten Jeremia. In keinem anderen Propheten-Buch erfahren wir so viel über das Leben eines Propheten. Über einen, der mit den Mächtigen ringt und der den Menschen Gottes Botschaft ausrichtet. 

Wir erfahren von Jeremias Schicksal, aber auch von seinen inneren Regungen, seinen Gedanken und Gefühlen, uns wird von seinen Konflikten und Krisen erzählt. 

Und so beginnt auch die Berufung Jeremias mit einer ganz innigen Beschreibung der Beziehung Gottes zu seinem Propheten. Gott lässt Jeremia wissen:

Ehe ich dich im Mutterschoß bildete, habe ich dich erkannt, und ehe du aus dem Mutterleib hervorkamst, habe ich dich geheiligt.

Jeremia 1,5
Die Bibel

Gott hat Jeremia erwählt noch bevor er überhaupt von seinen Eltern gezeugt wurde. Das hebräische „erkennen“ (ידע) ist dabei ein Wort, das auf ein sehr genaues Kennen, eine intime Beziehung hindeutet. Gott kennt Jeremia also ganz genau und weiß: Dieser Mensch ist genau der Richtige. Aber der Richtige wofür? Das erfahren wir im zweiten Teil des Verses:

Zum Propheten für die Nationen habe ich dich eingesetzt, oder anders übersetzt: Zum Propheten für die Völker habe ich dich gegeben. 

Beides klingt hier ganz am Anfang des Buches schon an. Einerseits, dass Jeremia zu einem zeichenhaften Propheten werden soll, der weit über die Grenzen Israels hinaus Bedeutung erlangen wird. Andererseits, dass Jeremia sich von Gott als hingegeben, als ausgeliefert erleben wird.

Schon im hebräischen Namen des Propheten steckt beides – je nachdem, wie man ihn liest. Liest man den Namen als יְרִמְיָהוּ (Jərimjāhû) bedeutet er יהוה (JHWH) möge erheben. Liest man hingegen יִרְמְיָהוּ (Jirməjāhû) bedeutet er יהוה (JHWH) wird verwerfen.

Das Leben des Jeremia wird zeigen: Von Gott berufen zu sein, kann beides bedeuten: Einerseits: Zu einem Licht und einer Stimme für die Völker zu werden. Andererseits: Die Zumutungen ertragen zu müssen, die ein von Gott gegebener Dienst mit sich bringen kann; Leid zu erfahren um Gottes Willen.

Anders ausgedrückt und auf uns hier und heute bezogen: Mit Gottes Hilfe können wir ein Leben führen, das zur Ermutigung und zum Vorbild für andere Menschen wird. Solch ein Leben kann aber auch Anfeindung, Leid, Einsamkeit, ja sogar Verzweiflung mit sich bringen.

Die Kraft der Prophet*innen

Liebe Schwestern und Brüder! Ich denke, wir sind uns einig: Um so einen Dienst, wie er Jeremia auferlegt wurde, reißt man sich nicht unbedingt. Und doch brauchen wir, braucht diese Welt dringend Menschen, die prophetisch denken, reden und handeln. Immer wieder waren es im Lauf der Geschichte anfangs unpopuläre Ideen und Sichtweisen, die die Menschheit letztlich wirklich weiter gebracht haben. Immer wieder war es auch nötig, dass Menschen dem sprichwörtlichen Rad in die Speichen gefallen sind.

Doch woher nehmen Prophetinnen und Propheten die Kraft, trotz aller Anfeindungen und Widerstände, ihre göttliche Botschaft zu verkünden?

Die Kraft einer Prophetin kommt direkt aus ihrer Gottesbeziehung. Die Kraft eines Propheten kommt aus der Erfahrung von Gott geliebt und gesandt zu sein; bei Gott geborgen zu sein trotz aller Widrigkeiten dieser Welt. 

Aus der Beziehung zu Gott erwächst also der Anspruch der Prophetin, Gottes Wort in der Welt zu verkünden. Aus der Beziehung zu Gott kommt dem Propheten auch der Zuspruch, der ihm die nötige Widerstandskraft gibt.

Aus dieser Grundhaltung heraus lebt Jeremia. Von Gottes Anspruch an ihn – die große Aufgabe Tacheles zu reden – und der Zuspruch Gottes – in allem bin ich bei dir – spornt Jeremia an. Und er geht mit den Mächtigen hart ins Gericht, die den Untergang Judas besiegeln, indem sie sich auf politische Spiele einlassen, anstatt sich um das Elend der Armen im Land zu kümmern.

Jeremia wird durch die aufrechte Beziehungszusage Gottes und das Zutrauen an ihn ermutigt, selbst die Könige anzuklagen. Könige, die Hirten für das Volk sein sollten, anstatt auf Kosten des Volks in Prunk und Überfluss zu leben.

Jeremia, der selbst aus einer Priesterfamilie stammt, wird die Priesterschaft hart kritisieren und vor allem gegen das allgegenwärtige Mantra wettern, das zu seiner Zeit lautet: „Geht’s dem Tempel gut, geht es allen gut.“

Jeremia, selbst Prophet, wird andere Propheten nicht schonen, die den Menschen das sagen, was sie gerne hören wollen, nicht aber, was Gott ihnen zu sagen hat.

Jeremia wird aber nicht nur Mahnen und zur Umkehr rufen. Als die Katastrophe – die Zerstörung Jerusalems und des Tempels – nicht mehr vermeidbar ist, wird er den Menschen Worte schenken, die ihnen im Umgang mit ihrer Trauer helfen. Schließlich wird Jeremia Trost und neue Hoffnung predigen; einen neuen Bund mit Gott ankündigen.

All das wird Jeremia tun, weil er als Prophet das Sprachrohr Gottes ist. Dazu ist er erwählt. Und es ist eben die Art Gottes, Menschen zu einem guten Leben führen zu wollen. Darum auch Menschen zu mahnen, die sich verirren. Menschen zu trösten, die aus eigener oder fremder Schuld in die Krise geraten sind. Menschen ihr Fehlverhalten zu vergeben. Mit Menschen einen Neuanfang zu machen. Menschen in eine neue Beziehung mit sich zu führen. Für Menschen eine neue Zukunft zu eröffnen.

Jeremia wird dieses prophetische Leben nicht unbeschadet führen. Es wird ihm viel abverlangen. Aber er wird auch erleben, wie Gottes Verheißung hält: Die Mächtigen, die ihn anfeinden werden gegen die Kraft seiner Worte wie gegen eine befestigte Stadt und Befestigungsanlagen aus Metall ankämpfen. Sie werden sich an der Botschaft Gottes die Zähne ausbeißen. Und Jahrtausende später und bei allen Völkern wird man wenig von ihren politischen Schachzügen, aber viel von Jeremia und seinen Worten hören. Die Botschaft, die Gott den Menschen durch Jeremia ausrichten lässt, ist:

Frieden und Gerechtigkeit auf dieser Welt wurzeln in der Beziehung, die Gott uns Menschen anbietet. Erst wer bereit ist, sich auf diese Beziehung einzulassen, auf Gott zu hören und entsprechend zu leben, baut an der Gottesherrschaft mit, von der Jesus von Nazaret einige hundert Jahre später predigen wird.

In jeder Zeit braucht es Menschen, die diese Botschaft Gottes hören und in konkrete Forderungen umsetzen – so wie es Jeremia und Jesus für ihre Zeit getan haben.

Unser Auftrag

Liebe Schwestern und Brüder! Was könnten solche Forderungen heute sein?

Vielleicht eine ökosoziale Steuerreform, die diesen Namen auch wirklich verdient?

Vielleicht eine klare Absage an den Glauben, es hätte etwas mit gutem Wirtschaften zu tun, den Planeten und die Armen der Welt immer noch mehr auszuplündern?

Vielleicht legale Möglichkeiten für Menschen, in einem anderen Land neu anzufangen, wenn sie in der eigenen Heimat keine Zukunft mehr haben?

Welche prophetischen Worte auch immer Gott vielleicht durch dich oder mich aussprechen mag, beides steckt jedenfalls in der Erwählung durch Gott: 

Einerseits: Gott kennt dich von Anfang an. Noch bevor du im Mutterleib entstanden und gewachsen bist; noch ehe du geboren wurdest, hatte Gott schon einen Plan mit dir und ist eine innige Beziehung mit dir eingegangen. Aus dieser Beziehung heraus will Gott, dass du positive Impulse in die Welt trägst. 

Andererseits: Den Menschen das Wort und die Wahrheit Gottes auszurichten, bringt nicht immer nur Applaus und Zustimmung. Im Gegenteil: Wer selbst nach der Liebe Gottes lebt und Gottes Gerechtigkeit einfordert, die gutes Leben für jeden Menschen im Sinn hat, wird angefeindet und erfährt manchmal ein schweres Schicksal.

Liebe Schwestern und Brüder, lasst uns Gott also dafür danken, dass er uns nicht allein zu einem königlichen, priesterlichen und prophetischen Dienst in der Welt berufen hat. Lasst uns Gott dafür danken, dass wir einander haben, um einander zu stärken, zu helfen, zu mahnen und zu trösten; um einander immer wieder auf den Ursprung unseres Dienstes zu verweisen; um gemeinsam aus der Quelle unseres Heils zu schöpfen, wie wir es heute tun.

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