Der be­din­gungs­los liebende Vater

Glaubensimpuls

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Manfred Schwarz

Pastor i.R., EmK Salzburg


Eine Predigt zu Lukas 15,1-3 und 11b-32

Gott gewährt uns Freiheit? Doch wie gehen wir damit um?

In dem Gleichnis vom „Verlorenen Sohn“ oder besser gesagt vom „Liebenden Vater“ haben wir gehört, dass der Vater seinem jüngeren Sohn sein Erbteil auszahlt und ihn wegziehen lässt. Er entlässt ihn sozusagen in seine selbstgewählte Freiheit. Der Sohn denkt: „Ich bin nun frei von der väterlichen Vorherrschaft. Der Vater hat mir jetzt nichts mehr zu sagen. Ich kann tun und lassen, was ich will. Ich fühle mich frei!“

Aber, auch der ältere Sohn hat sich entschieden. Er hat auch frei gewählt, nämlich beim Vater zu bleiben und ganz im Sinne des Vaters das Gut zu übernehmen und zu verwalten. Auch dieser Ältere fühlt sich frei. Er denkt: „Ich will das Gut übernehmen, das steht mir auch als dem Älteren zu. Ich kann mich ja hier als der rechtmäßige Erbe auch entfalten.“

Schließlich aber ist da die Hauptperson, der Vater. Er ist ebenfalls frei in seinen Entscheidungen. Er lässt die beiden Söhne gewähren. Den einen wie den anderen. „Mir sind beide gleich lieb“, denkt er. „Sie sollen sich frei entscheiden und sich entfalten können!“ – Wir sehen, es geht um Freiheit – nur die Beweggründe für die Entscheidungen sind jeweils verschieden. 

Der jüngere Sohn entscheidet aus dem Drang nach Unabhängigkeit.
Der ältere Sohn handelt nach dem Motiv, das Erbe des Vaters in dessen Sinn gut zu übernehmen.
Der Vater dagegen handelt aus Liebe zu seinen Söhnen.

Wir erkennen daraus: Es geht in dieser Geschichte nicht um moralische Grundsätze, wer brav zu sein hat, sondern um die verschiedenen Einstellungen zur Freiheit. – Ja, um die verschiedenen Einstellungen zur von Gott geschenkten Freiheit. Denn wir wissen, wen Jesus in dieser Geschichte mit dem Vater gemeint hat: Es ist der väterliche Gott.

Was ist Freiheit?

Bleiben wir also zunächst beim Vater, beim liebenden Vater. Er ist die Zentralfigur des Gleichnisses. Sein Wesen ist Liebe, Mitleid, Erbarmen, Güte. Aus dieser Grundhaltung heraus zahlt er dem jüngeren Sohn sein Erbteil aus, obwohl er ahnt oder sogar weiß, wohin das führen wird. Er nimmt seinen Sohn ganz ernst. Er lässt ihn ziehen, weil er den Freiheitsdrang des Jungen akzeptiert. Der Vater gewährt also echte Freiheit. Und in der Freiheit steckt ja das Scheitern drin. 

"Freiheit, die nur gewährt wird, wenn im Voraus bekannt ist, dass ihre Folgen günstig sein werden, ist nicht Freiheit." (sagt der Neoliberalist Friedrich August von Hayek) Diesbezüglich hat er ja recht!

Echte Freiheit muss das Risiko des Scheiterns auf sich nehmen und es einkalkulieren. Sonst ist es nicht Freiheit. 

Und da sind wir schon beim ersten, beim jüngeren Sohn. Er ist risikofreudig. Er möchte die Welt kennenlernen, möchte sich selbst verwirklichen. Er glaubt nicht, dass ihm der Vater seine Freiheit gönnt. Er meint, dass der Vater als Patriarch nur auf Einhaltung seiner Vorschriften achtet. Mit anderen Worten: Er schätzt den Vater falsch ein. Er macht sich ein falsches Bild von ihm.  

In einem Büchlein fand ich einen treffenden Vergleich. Da heißt es: „Der jüngere Sohn gleicht darin vielen Christen, die immer noch meinen, Gott schnüre sie mit Geboten und Verboten ein und lasse sie nicht frei atmen.“

Und der ältere Sohn? Der zu Hause bleibt, der sogenannte brave Sohn? Auch er versteht den Vater nicht! Er meint, er müsse am Hof des Vaters sich dessen Liebe verdienen. Er wirft dem Vater vor: „So viele Jahre diene ich dir und habe dein Gebot noch nie übertreten!“ Er kann sich gar nicht vorstellen, dass der in seinen Augen ebenso patriarchale Vater, dass dieser ihn bedingungslos lieben könne.

In dem vorher erwähnten Büchlein steht auch der folgende Vergleich: „Dieses groteske Missverständnis teilen mit dem älteren Sohn noch heute viele Christen. Leistung, Lohn, Strafe – das sind die Kategorien, in denen sie, wie der ältere Sohn zum Vater, ihre Beziehung zu Gott leben.“

Nun geht aber die Geschichte weiter. Den jüngeren Sohn bringt das Elend zur Vernunft. Er kommt erst zur Besinnung, als er total im Dreck liegt. Er kehrt um – aber noch versteht er das gütige Vaterherz nicht. Er denkt an Bestrafung, er erniedrigt sich und will bloß am Hof des Vaters als Tagelöhner arbeiten.
Erst bei der konkreten Begegnung mit dem Vater geht ihm ein Licht auf. Wieso? 
Der Vater eilt ihm entgegen! (Das ist etwas ganz Ungewöhnliches für einen alten Orientalen, weil es der Würde eines Patriarchen nicht entsprach.) Der nun umarmt den Zurückgekehrten. Und er küsst sogar seinen Sohn zum Zeichen der Vergebung. 

Erkenntnis der Freiheit

In diesem Moment erst geht dem Sohn auf, wer sein Vater ist: 

  • der bedingungslos Liebende,
  • der bedingungslos Verzeihende,
  • der bedingungslos Befreiende,
  • der dem schuldig Gewordenen unverdientermaßen Gnade zukommen lässt.

Das ist der wahre Grund, weshalb gefeiert werden muss: ein Fest!

Soweit, so gut. Na – denken wir – hoffentlich gehen dem älteren Sohn auch die Augen auf!
Mal sehen:

Zunächst ist er entrüstet, ja eifersüchtig. „Nie wurde mir so ein Fest bereitet, obwohl ich dir die ganze Zeit treu diene und nie deine Gebote übertreten habe. Und nun kommt da dein Sohn, diese zweifelhafte Gestalt, heim und du machst ein Fest!“
Der Vater versucht daraufhin seinen Ältesten vom Leistung-Lohn-Denken wegzubringen. „Ja Bua, du warst doch eh die ganze Zeit bei mir. Wir haben eh alles gemeinsam. Komm doch rein, feiere mit, gib deinem Bruder die Hand. Verstehst du denn nicht? Er war ja für uns gestorben, und jetzt lebt er wieder! Das muss doch gefeiert werden! Freu dich mit uns!“
Wie der Ältere nun darauf reagiert, wissen wir nicht. Das Gleichnis endet hier. Und das ist gut so.

Verstehen wir diese Freiheit?

Denn – jetzt sind  w i r  gefordert, zu überlegen: Verstehen denn wir diesen großzügigen Vater?

Einen bedingungslos liebenden Gott?
Einen bedingungslos verzeihenden Gott? 

Die Problematik:

Nun, ich muss gestehen: Das fällt mir oftmals schwer. Der Vater lässt den jüngeren Sohn ziehen, lässt ihn sozusagen ins Verderben rennen… Ja, was ist, wenn der nun aber sich nicht besinnt? Nicht umkehrt? Ist das denn diesem ach so gütigen Vater egal? Hört da seine Liebe auf?

Als ich meine Predigt unserer Pastorin vorgelegt hatte, schrieb sie mir dazu folgendes:

„Doch die Freiheit, die sich manche nehmen, kann im Extremfall andere Menschen einschränken (ich denke da an Putin, der sich die Freiheit nimmt, in die Ukraine einzumarschieren. Oder ich denke an Querdenker, die sich die Freiheit nehmen, alternative Wahrheiten zu verbreiten). Bei solchen Beispielen fällt mir wieder auf, dass ich nicht Gott bin! Dass also ich nicht verstehen kann, wie man auch destruktiven Menschen die Freiheit gibt, Entscheidungen zu treffen, die anderen Schaden zufügen. Das ist schon schmerzvoll für mich. Aber dann weiß ich ja auch, dass Gott sich in Jesus diesen Schmerzen, dem Leiden, dem Scheitern ausgesetzt hat. Und dass Gott auch aus dem größten Scheitern (denkt an den gekreuzigten Erlöser) Neues schaffen kann. Das gibt mir Hoffnung und Trost!“ (Ende des Zitats)

Ja, ich gebe zu, ich tu mir da manchmal schwer.

Z.B. wenn da Jesus mit Sündern und Prostituierten zusammenkommt und mit ihnen isst? Nun, das kann ich mir eventuell noch vorstellen. 
Aber dann – dass er dasselbe bei Zöllnern macht? Bei Leuten, die andere ausnützen und ihnen noch das Letzte aus der Tasche ziehen…? Das bringt mein Gerechtigkeitsgefühl schon sehr durcheinander.  

In meinem Kopf schwirren noch immer die im Religionsunterricht gelernten sog. Grundwahrheiten herum. Wo es hieß: „Gott ist ein gerechter Richter, der das Gute belohnt und das Böse bestraft!“ 

Haben die Ersteller solcher Grundwahrheiten denn nicht das Gleichnis vom Verlorenen Sohn gelesen? Von einem liebenden, barmherzigen Vater?

Vielleicht müssen diese Leute, und wir, und ich umdenken!

Wenn Gott allen Menschen bedingungslos, voll Liebe, die Freiheit schenkt, kann er dann die verdammen, die einen anderen Weg einschlagen, als den, von dem wir glauben, dass er der rechte Weg ist? Das ist doch eigentlich kein Freiheitsgeschenk, wenn nur  e i n  Weg, der sichere, erlaubt ist. Wenn es nur einen einzigen richtigen Weg gibt, kann ich dann frei entscheiden? 
Z.B. wenn ich zu einem Bergwanderer sage: „Schau, das ist der richtige markierte Weg zur Schutzhütte! Du kannst dich aber auch frei entscheiden und über die Geröllhalde runter springen.“ Das ist kein echtes Freiheitsangebot. Oder doch? Das ist doch zynisch!

Soll Gott nur "Freiheit gewähren, wenn im Voraus bekannt ist, dass ihre Folgen günstig sein werden? Das ist doch erst recht nicht Freiheit." – Das wiederum wäre Zwang zum Guten!

Natürlich kennen wir sehr wohl Schriftstellen, in denen von einer Entscheidung die Rede ist. Z.B. am Ende des Matthäusevangeliums das Gleichnis vom Jüngsten Gericht, wo der König denen zu seiner Rechten sagt: „Kommt, ihr Gesegneten meines Vaters, nehmt das Reich in Besitz, das euch seit Grundlegung der Welt bereitet ist.“ – Und dann sagt er zu denen auf der linken Seite: „Hinweg von mir!“

Da gibt es eben zwei theologische Richtungen: die Vertreter der sog. Allversöhnungslehre, die eine ewige Verdammnis ausschließt. 
Und andere theologische Richtungen, die das Gericht betonen, die Belohnung der Guten und die Bestrafung der Bösen.
Seht ihr, wir dürfen uns eingestehen, dass wir keine klaren Richtlinien wissen. 

Jesu Gleichnis endet mit offenen Fragen

Das Gleichnis vom verlorenen Sohn bleibt in seiner letzten Konsequenz offen. Jesus erzählt nicht, wie schlussendlich der ältere Sohn sich verhalten hat. Ob er zum Festmahl hineingeht oder nicht. Jesus lässt es bewusst offen. Oder was mit dem jüngeren Sohn geschehen wäre, wäre er nicht umgekehrt. Wäre er dann verreckt?

Es ist letztendlich nicht unsere Aufgabe, Gottes Entscheidungen zu hinterfragen. Und das ist – so meine ich – eine wichtige Botschaft an uns:

Bleiben wir in den Fragen über die letzten Dinge offen und spekulieren wir nicht!
Aber: ganz, ganz wichtig sind – für Jesus – und auch für uns – die Erkenntnisse aus den drei Hauptpersonen des Gleichnisses: 

dass uns aufgeht, wer für uns Gott-Vater ist:

  • der uns bedingungslos liebt,
  • der uns bedingungslos verzeiht,
  • der uns Freiheit gewährt, selbst wenn wir sie total missbrauchen,
  • der dem schuldig Gewordenen unverdientermaßen Gnade schenkt.
  • Der sowohl mit Versagern wie auch mit treuen Braven ein ewiges Fest feiert.

Wir orientieren uns am jüngeren Sohn: Ja, wir dürfen frei entscheiden und das Risiko der uns angebotenen Freiheit eingehen. Denn wir brauchen nicht ängstlich zu sein, dass wir dann die Liebe des Vaters verlieren könnten.

Wir dürfen aber auch vom älteren Sohn lernen – und das ist ebenso ganz wichtig – niemanden auszusperren, auszustoßen, ihn zurück zu weisen, weil er oder sie nicht unserem  eigenen Frömmigkeitsstil oder unseren eigenen moralischen Einstellungen entspricht.

Weil – Gottes bedingungslose Liebe eben allen Menschen gilt!

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