Be­geg­nun­gen am Rand

Glaubensimpuls

Bild von Esther Handschin
Esther Handschin

Pastorin, Erwachsenenbildung


Predigt zu Lukas 8,26-39

In dieser Geschichte geht es um verschiedene Begegnungen am Rand. Zunächst einmal betrifft es eine Begegnung Jesu mit einem Menschen, der nicht im Mittelpunkt einer Gemeinschaft steht. Auf der anderen Seite befinden sich alle Örtlichkeiten dieser Geschichte am Rand, in der Peripherie und das in dreifacher Weise.

Die Gegend von Gerasa liegt von Galiläa aus gesehen auf der drüberen Seite des Jordans, also am Rand. Dorthin verirrt man sich in der Regel nicht. Um nach Jerusalem zu gelangen, gibt es kürzere Wege, z.B. durch das Gebiet von Samarien.

Weiters spielt die Geschichte am Rand der jüdischen Kultur. Es kommt eine Schweineherde vor. Das ist ungewöhnlich für jüdische Lebensumstände. Unter den Juden lässt sich Schweinefleisch nicht verkaufen. Wer Schweinefleisch isst, der kann kein rechter Jude sein. Die Schweineherde war wohl für den Export gedacht.

Und schließlich findet die Begegnung zwischen Jesus und dem besessenen Mann bei den Grabhöhlen statt. Auch das ist ein Ort am Rand des Lebens und ein Ort, wo man sich in der Regel als frommer Jude nicht aufhält. Man geht nicht dahin, wo der Tod zu finden ist und man kommt am besten gar nicht damit in Berührung. Denn das macht nur unrein.

Auch dieser Mensch, um den es geht, ist eine Art Randfigur. Durch seine Krankheit ist er an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Er lebt an einem Ort, der dem Tod näher ist als dem Leben. Mit ihm will niemand etwas zu tun haben. Die Mitbewohner haben schon alles probiert, um wenigstens halbwegs mit ihm auszukommen. Sie haben ihn angekettet. Sie haben ihn gefesselt. Aber die Krankheit war stärker. Sie hat die Macht über diesen Menschen behalten. Er war nicht zu bändigen. Die Krankheit hat ihn zu einer Randfigur gemacht. Sogar die Kommunikation mit ihm ist gestört.

Eine Krankheit, die an den Rand drängt

Wenn wir heute diese Geschichte hören, so ist uns nicht klar, wer da spricht. Ist es der Mensch selbst, der in Jesus den Sohn Gottes erkennt? Oder sind es die Dämonen, die aus ihm sprechen? Ist es eigentlich ein Dämon oder sind es mehrere, die da reden? Alles ist verwirrend an diesem Menschen: Sein Aussehen, sein Verhalten, seine Redeweise. Man wird einfach nicht schlau aus ihm.

Wir wissen heute mehr über psychische Krankheiten als heute. Was früher als Besessenheit durch einen Dämon benannt und damit auch erklärt wurde, das würden wir heute nicht mehr so bezeichnen. Wir wissen viel differenzierter Bescheid über psychische Krankheiten. Sie haben nicht mit Besessenheit zu tun. Oft sind die Botenstoffe im Körper durcheinander geratenen.

In vielen Fällen kann man mit Medikamenten helfen und die Situation erträglicher machen, sowohl für die Betroffenen als auch für die Angehörigen. Aber was bis heute geblieben ist, das ist die Schwierigkeit der so genannt „normalen“ Menschen mit denen, die psychische Schwierigkeiten haben. Die Menschen reagieren damals wie heute ähnlich: Sie finden es komisch, verwirrend und unheimlich, mit solchen Menschen in Kontakt zu sein. Das Stigma bleibt dasselbe: Sie haben höchstens einen Platz am Rand der Gesellschaft, aber bestimmt nicht mittendrin.

In der Begegnung mit dem Dämon die Oberhand behalten

Jesus lässt sich davon nicht beeindrucken. Er sucht die Begegnung, ob mit dem Menschen oder ob mit dem Dämon, das wird zunächst nicht klar. So versucht Jesus zunächst Klärung zu schaffen. Wer ist dieser Dämon? D.h. was plagt diesen Menschen? Also fragt er ihn nach dem Namen und bekommt die Antwort „Legion“.

Eine Legion, das war zur römischen Zeit eine Heereseinheit, die zwischen 3.000 und 6.000 Soldaten umfasste. Die Antwort „Legion“ bedeutet also so viel wie „wir sind viele“. Doch in der Begegnung mit den Dämonen ist ganz klar, wer die Oberhand behält: Jesus. Sie müssten ihn bitten, ob es noch eine andere Möglichkeit gibt, als in den Abgrund zu fahren. Jesus gibt ihnen die Erlaubnis, in die Schweineherde zu fahren, die sich dann in den See stürzt und ersäuft. Damit wird ausgedrückt, dass Jesus und das Reich Gottes, das er verkündet, schon den Sieg über den Tod und dessen Mächte gewonnen hat.

Begegnung mit Jesus bedeutet zurück ins Leben

Jesus begegnet aber nicht nur den Dämonen im Menschen. Es ist nicht nur der Kampf gegen die anderen Mächte und Gewalten. Wichtig ist auch die Begegnung mit diesem Menschen selbst, der sich schon längst aus der Gemeinschaft der Lebenden zurückgezogen hat. Es gilt, ihn wieder in die Lebenswelt der Menschen zurückzuholen und zu reintegrieren.

Wir erfahren das im weiteren Verlauf der Geschichte: Jesus sorgt dafür, dass er Kleider zum Anziehen hat. Und als die Schaulustigen sich zum Friedhof hinausbegeben, da stellen sie fest, dass man mit diesem Menschen auf einmal ganz vernünftig reden kann. Die Randfigur steht nun im Mittelpunkt und findet das Interesse der anderen. Der Mann ist nicht nur gesund geworden, wie es von den Schaulustigen beschrieben wird. Das griechische Wort an dieser Stelle heißt nicht nur „gesund“, sondern auch „gerettet“. Es weist uns daraufhin, dass diese Heilung noch eine andere Dimension hat als die der Gesundung. Durch die Befreiung von den Dämonen konnte sich der Mann öffnen für das Heil und für das Heilige, für Gottes Welt und seine Gegenwart.

Eine weitere Begegnung findet mit den Schweinehirten und den Schaulustigen statt. Sie begegnen ebenfalls dieser Welt Gottes und seiner Gegenwart. Aber bei ihnen löst das Furcht aus. Die Hirten fliehen und die Schaulustigen sind so von der Furcht ergriffen, dass ihnen lieber ist, dass Jesus die Gegend verlässt. 

Begegnung als Heilung

Die Begegnung mit dem Göttlichen ist heilsam in verschiedener Weise. Und sie hat unterschiedliche Folgen. Für den Mann so, dass er Heil und Heilung findet. Er kann ein neues Leben beginnen. Für die Schaulustigen in der Weise, dass sie aus ihrer Ahnungslosigkeit herausgerissen werden. Sie sind herausgefordert Stellung zu beziehen. Wollen wir diesen Jesus unter uns haben? Dann könnten sich noch ganz andere Dinge ereignen in unserem Leben. Oder schicken wir ihn und seine Jünger besser dahin zurück, wo er hergekommen ist? Dann haben wir Ruhe in unserer Gegend.

Jesus begegnet einem Mann, der am Rand des Lebens steht und holt ihn in die Mitte des Lebens. Aber wo ist diese Mitte des Lebens? Diese Geschichte hat einen auf den ersten Blick recht eigenartigen Schluss. Nach all diesen Erfahrungen ist der Wunsch des Mannes doch verständlich, dass er bei Jesus bleiben möchte. Wo anders könnte für ihn die Mitte des Lebens sein als bei Jesus, dem er sein neues Leben zu verdanken hat.

Wo ist die Mitte des Lebens

Doch Jesus schickt ihn weg. Er sieht die Mitte des Lebens an einem anderen Ort. Zu Hause, bei den Menschen, bei denen er lange Zeit keinen Platz haben durfte, weil er für sie untragbar geworden ist. Ausgerechnet zu diesen Menschen schickt ihn Jesus zurück und gibt ihm den Auftrag, ihnen die großen Taten Gottes zu verkünden.

Dieser eher ungewöhnliche Schluss stellt uns vor die Frage: Wo ist für mich die Mitte des Lebens? Oder anders gesagt, wo ist mein Platz, an dem ich Jesus nachfolgen und ihn bekannt machen soll? Welchen Menschen soll ich von Jesus erzählen und von dem, was er in meinem Leben bewirkt?

Jesus ruft Menschen in unterschiedlicher Weise

Wenn wir uns in Erinnerung rufen, aus welchen Lebenssituationen Jesus Menschen in die Nachfolge ruft, so sind diese ganz unterschiedlich. Die Fischer reißt er mitten aus ihrer Arbeit heraus. Den Levi ruft er hinter seinem Zollhäusl hervor. Den reichen Jüngling schickt er von seinem Reichtum und Besitz weg. Immer geht es darum, dass Menschen lernen, ihren Blick von dem weg zu lenken, was ihnen vertraut und wichtig ist, um dafür umso mehr auf Jesus zu schauen. Sie müssen das eine verlassen, um das andere zu gewinnen.

Daneben gibt es aber auch einige Jüngerinnen und Jünger, die nicht mit Jesus herumziehen, sondern dort bleiben, wo sie wohnen. Am Anfang des Kapitels, in dem unsere heutige Geschichte spielt, erwähnt Lukas in seinem Evangelium einige Frauen, von denen es heißt, dass sie ihm mit ihrer Habe dienten. Sie zogen nicht mit Jesus umher, sondern sie stellten Platz und Raum und Besitz zur Verfügung, um Jesus zu unterstützen. Und nun gibt es in dieser Geschichte von der Heilung des Besessenen eine nochmals andere Reaktion Jesu. Er nimmt ihn nicht als seinen Jünger mit, sondern schickt ihn nach Hause, um dort das Reich Gottes zu verkünden.

Jesus nachfolgen kann also ganz Verschiedenes bedeuten: Einmal heißt es, alles stehen und liegen lassen und mitziehen oder fortziehen in ein anderes Land. Einmal heißt es, zu Hause bleiben, Raum und Besitz zur Verfügung stellen, damit andere die Arbeit der Verkündigung tun können. Einmal heißt es, alles verkaufen und den Armen schenken, damit mich kein Ballast mehr zurückhält. Und dann wieder heißt es, zurückkehren in das Umfeld, das mir vertraut ist und dort das Reich Gottes bekannt machen. Mich mit den Menschen konfrontieren, die mich von früher kennen und ein ganz anderes Bild von mir haben.

Jesus ruft mich, damit ich mich dem Leben stelle

Was ich dabei wahrnehme ist Folgendes: Der Weg in die Nachfolge Jesu konfrontiert mich oft genau mit der Lebensaufgabe, die für mich zur Herausforderung des Lebens wird. Es geht um die Frage: Stehe ich im Zentrum oder ist meine Aufgabe nicht vielmehr die, auf den Herrn meines Lebens hinzuweisen, in dessen Dienst ich mein Leben gestellt habe? 

Diese Lebensaufgabe heißt für jeden und jede von uns wieder etwas anderes, weil unsere Lebenswege unterschiedlich verlaufen sind und unsere Schmerzpunkte jeweils woanders liegen. Beim einen ist es das Geldbörsel, wo es zu zwicken beginnt, bei der anderen die Frage, ob ich genug abgesichert bin. Andere brauchen einen festen Wohnsitz, ein trautes Heim, für wieder andere ist die Auseinandersetzung mit der eigenen Familie die große Herausforderung. Für die einen wird das Verlassen der Knackpunkt und für die anderen die Sesshaftigkeit schwierig.

Ich meine nicht, dass es in dieser Frage um Selbstquälerei geht, so nach dem Motto: Je mehr ich leiden muss, desto bedeutsamer muss es für Gott sein. Es geht vielmehr wie bei dem Besessenen um die Frage der Heilung. Wo klammere ich mich an etwas fest, was mir nicht zum Leben dient? Wo bin ich gebunden, gefesselt durch etwas, was mich nicht frei sein lässt? Wo enge ich mich selbst noch ein aus Angst etwas zu verlieren, was ich sowieso nicht werde behalten können? Denn darum geht es Jesus mit seiner Verkündigung vom Reich Gottes und mit seinem Ruf in die Nachfolge: Dass wir frei werden von allem, was uns daran hindert ganz zu ihm zu gehören.

Ihr Browser ist veraltet!

Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser, um diese Website korrekt darzustellen. Den Browser jetzt aktualisieren