Ver­ant­wor­tung über­neh­men

Glaubensimpuls

Bild von Frank Moritz
Frank Moritz

Lokalpastor EmK Schweiz


Predigt zu Markus 9,33-37 mit dem Schwerpunkt "Verantwortung übernehmen" und welche Rolle das Kind in der Mitte hier spielt.
Verfügbar auf deutsch und auf englisch

Liebe Gemeinde, ich habe für die heutige Predigt den Text aus dem Markusevangelium gewählt, weil hier ein Thema angesprochen wird, das mich sehr beschäftigt und das heißt "Verantwortung übernehmen". Das mag ein wenig widersprüchlich zum Text klingen, aber ich werde versuchen das auszuführen. Und ich möchte darauf eingehen, warum Jesus ein Kind in die Mitte stellt, mitten unter die Jünger, das Jesus vor ihren Augen in die Arme schließt.

Nach mehrmaligem Lesen dieses Textes war eine meiner ersten Gegenfragen: „Wie wird man eigentlich Letzter?“ Ich meine, wenn man sich einen Wettlauf vorstellt, also eine Situation, wo es um den Sieg oder um Medaillen oder Plätze geht, dann weiß ich schon, wie man Letzter wird. Aber warum ist man dann angetreten? Das macht doch überhaupt keinen Sinn.

Und wenn ich es jetzt auf eine christliche Gemeinde übertrage und nicht auf einen Wettkampf, wie soll es da gehen, Letzte oder Letzter sein zu wollen? Wenn ich aktiv Letzter werden will, ist das dann nicht erst recht so, als ob ich Erster werden will? Wie soll das gehen, wenn alle plötzlich Diener sein wollen, weil Jesus das ja so gesagt hat? 

Ihr kennt sicher folgende Filmszene, die lauter Soldaten in einer Reihe antreten lässt und auf die Aufforderung des Kommandanten „Freiwillige vor“ machen alle einen Schritt zurück, bis auf den Trottel, der dann vorne stehen bleibt. Wie soll das gehen, wenn alle einen Schritt zurück machen, wenn es darum geht Verantwortung zu übernehmen?

Das kann es also nicht sein. Sich selbst so demütig und niedrig darzustellen, weil man hier diesem Wort von Jesus folgen möchte. Das ist meiner Ansicht nach genauso falsch, wie das Gegenteil. Sich absichtlich demütig darzustellen, um besonders fromm zu sein. Verlogen ist es noch dazu, weil es die eigene Motivation mit einer angeblich christlichen Gesinnung zu tarnen versucht.

Was ist also gemeint, wie können wir das verstehen?

Ich denke, was uns Jesus hier sagen möchte, ist, dass wir nicht auf den äußeren Schein Wert legen sollen. Dass wir uns nicht selbst blenden und nicht von anderen blenden lassen. 

Und das ist gar nicht so einfach wie man glaubt. Wir leben in einer Welt die auf Äußerlichkeiten schaut und diese Welt färbt auf uns ab. Kleider machen Leute und Schönheit betört. Wenn man sich das nicht selbstkritisch vor Augen hält, dann wird man so wie viele unserer Mitmenschen ständig in diese Falle tappen. Der gleiche Satz aus dem Mund eines schönen oder aus dem Mund eines hässlichen Menschen kommend entfaltet dann eine ganz andere Wirkung. Es ist fürchterlich wie dumm wir Menschen sind. Nicht umsonst machen sich viele Gedanken über ihren Body, rennen ins Fitnessstudio und stählen ihren Körper statt ihren Geist. Und vor dieser Wirkung sollt ihr nicht die Augen verschließen, sagt Jesus, sondern euch sollen andere Werte wichtig sein. Ein grundsätzlicher Respekt jedem Menschen gegenüber – gleichgültig ob er schön oder hässlich, arm oder reich ist.

Das ist eine der möglichen Erklärungen, die mir zu diesem Satz „Wenn jemand der Erste sein will, soll er der Letzte von allen und der Diener aller sein.“ eingefallen ist. Ich habe diese Erklärung beibehalten, weil sie einen wichtigen Aspekt des Jakobusbriefes aufgreift, den ich in meiner letzten Predigt nicht ausgeführt habe. 

Aber es gibt noch eine Erklärung, die mir fast noch besser gefällt und die zwischen den Zeilen zu finden ist. Wie wäre es damit: Ihr sollt einfach nicht Erster sein wollen. Bummsti – hört's auf damit. Wer Erste oder Erster sein will, sollte eigentlich überlegen, ob er oder sie nicht als Letzte anfangen sollte. Durch dieses Umdrehen, das, wie ich vorhin ausgeführt habe, eigentlich unmöglich ist, wird das ganze System in Frage gestellt. Niemand ist der Größte, weil der Größte ja der Letzte und der Diener aller ist. 

Jetzt noch einmal in einem spezifisch christlichen Kontext, also mit Blick auf unsere Gemeinde glaube ich, dass wir gut beraten sind, keine Wertungen zwischen den verschiedenen Diensten vorzunehmen.

Genau damit beschäftigt sich der Bundeserneuerungsgottesdienst und genau das wird für mich immer gut im Bild vom Leib und den vielen Gliedern dargestellt. Leidet ein Glied, dann leidet der ganze Leib. Zumindest ist das das biblische Wort und um diese Wirklichkeit sollen wir uns bemühen.

Denn es gibt Unterschiede zwischen uns, wir haben verschiedene Aufgaben und verschiedene Begabungen. So sind es auch immer wieder Petrus, Jakobus und Johannes die Jesus auswählt und mitnimmt. Ob das jetzt die Verklärung Jesu ist oder die Zeit im Garten Getsemane. Aber das bedeutet für mich eben nicht, dass Jesus diese drei Jünger mehr geliebt hat als die anderen. Diese drei waren vielleicht mehr als die anderen begabt oder geeignet, um Verantwortung zu übernehmen.

Damit bin ich wieder beim Hauptthema: Der Letzte oder der Diener aller zu sein kann nicht heißen, aus – falscher – Bescheidenheit Verantwortung abzulehnen. Verantwortung übernehmende Menschen braucht es mehr denn je. Hat es immer gebraucht, so auch heute.

Und damit komme ich zum zweiten Teil der Predigt, wie das dann ausschauen soll, nachdem ich jetzt lange ausgeführt habe, wie es nicht sein soll.

Jetzt, genau jetzt, sind wir beim Kind, das Jesus ins Zentrum stellt.

Und dazu sollte man wissen, dass Kinder ganz unten in der Rangfolge der antiken Gesellschaft standen. Die Menge der Kinder, hier vor allem die Menge der Söhne war wichtig, aber das einzelne Kind hatte nicht denselben Stellenwert wie wir das hier in Österreich und heute im Jahr 2021 gewohnt sind. Walter Klaiber schreibt sogar: „Griechen und Römer setzten neugeborene Kinder aus oder töteten sie. Das war ihre Form der Familienplanung und zeigt, wie wenig das Leben eines Kindes galt.“ Lassen wir es bitte einfach mal so als Eindruck stehen. Ich bin geschichtlich nicht versiert genug, um diese Aussage vollständig zu bejahen oder als falsch abzulehnen. Wichtig ist mir, dass wir damit ein Gefühl für den Stellenwert eines Kindes zur Zeit Jesu bekommen. Dadurch wird das, was Jesus tut, für uns besser sichtbar.

Jesus nimmt also ein sehr weit unten angesiedeltes Wesen der damaligen Gesellschaft und stellt es nicht nur ins Zentrum der Aufmerksamkeit, nämlich mitten unter die Jünger, sondern er zeigt seine Zuneigung indem er das Kind in die Arme nimmt. Und er sagt: „Wer solch ein Kind um meinetwegen aufnimmt, der nimmt mich auf. Und wer mich aufnimmt, der nimmt nicht mich auf, sondern den, der mich gesandt hat.“

Das heißt, im Zentrum unserer Aufmerksamkeit sollen die Schwächsten stehen. Diejenigen, die dabei sind sich zu entwickeln. Diejenigen, die unsere Hilfe und – vor allem anderen – unsere Liebe brauchen.

Wenn man eines auch heute noch ganz deutlich sehen kann an Kindern, dann ist das ihre Liebesbedürftigkeit. Nimm diese Liebe weg und ein unvorstellbares Elend bricht über so ein Kind herein, dass es herzzerreißender nicht sein kann. Die Parallelstelle im Matthäusevangelium lautet daher auch treffsicher: „Amen, ich sage euch: Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht in das Himmelreich hineinkommen.“

Deshalb das Kind in der Mitte – damit die Jünger und wir erkennen, worauf es ankommt. Diese Liebesbedürftigkeit, die können wir uns von den Kindern abschauen oder danach streben, denn diese Liebesbedürftigkeit nährt unsere Sehnsucht. Die Sehnsucht nach Gott. 

Die Sehnsucht nach Gott geht vielen Erwachsenen verloren. Sie glauben jetzt eben erwachsen, selbstständig und stark zu sein. Und sagen oder denken: Wer braucht schon Gott? Das ist doch Kinderkram.

Ja, eben – Kinderkram. Wer Ohren hat zu hören, der höre. 

Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, werdet ihr die Sehnsucht und die Liebesbedürftigkeit verlieren, die euch in die Nähe Gottes ziehen kann.

Wenn Gott in eurem Leben an Bedeutung verliert, dann könnt ihr wieder rumgockeln und überlegen, wer der Größte unter euch ist.

Ich für meinen Teil möchte mich lieber an Jesus halten und so eine überflüssige Frage hinter mir lassen. Sollen sich andere überlegen, wer der Größte ist, ich will meinen Teil beitragen und dort, wo ich gebraucht werde, Verantwortung übernehmen. Und ich möchte mich an den Kindern orientieren. Liebesbedürftig zu sein und zu bleiben. Damit die Sehnsucht nach Gott in mir lebendig bleibt. Und ich mich auf den Weg mache, um selbst diese Sehnsucht zu suchen, die mich lieben lässt.

Amen.

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