"Him­mel­hoch & Ab­grund­tief"

Glaubensimpuls

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Dorothee Büürma

Pastorin, Erwachsenenbildung


 Eine Predigt der Hoffnung für die Höhen und Tiefen des Lebens - Johannes 6, 1-21

Zwei Wunder – eine Geschichte:

Die beiden Geschichten in unserem Evangeliumstext sind eng miteinander verknüpft.

Zuerst die wunderbare Brotvermehrung, die mich seit meiner Kindheit staunen lässt. Und gleich im Anschluss die Geschichte von den Jüngern, die Jesus auf dem See nicht erkennen und sich fürchten. Zwei Wunder-Geschichten; eine himmelhoch jauchzend, die andere auf dem Grund unserer Ängste.

Und dieses Jahr spricht mich die Kombination dieser beiden Geschichten im Johannesevangelium besonders an.

Die große Menschenschar, die Jesus und den Jüngern folgte, die sich von ihnen Geleit und Versorgung mit dem Nötigsten erhofft – ist sie nicht wie ein Spiegel der Gesellschaft? 

Und die Jünger, die ganz nah bei Jesus waren, die werden hier auf die Probe gestellt – wie können wir die Menschen gut versorgen?

Eine Geschichte voller Emotionen

Ich stelle mir die Emotionen unter den Menschen vor.

Sie hatten Jesu Heilungen und Wundertaten entweder selbst miterlebt oder sich von den Erzählungen tief berühren lassen. Er war das Sinnbild der Hoffnung für sie. Ca. 5000 Männer sind ihm laut der Version des Johannesevangeliums gefolgt. Das beinhaltet natürlich noch nicht die Frauen und Kinder, die, wie die Geschichte auch deutlich macht, natürlich auch dabei waren. Es müssten also weit über 10.000 Menschen in dieser großen Menge gewesen sein.

Wie kann man die große Vielzahl an Erwartungen erfüllen, ohne dass das Ganze in Ärger, Streit und Krawallen endet?

Jesus erkennt sofort zwei Grundbedürfnisse der Menschen: das Bedürfnis nach Rast und Erholung und das Bedürfnis nach Stärkung und Nahrung.

Die Geschichte... und wir

Diese beiden Grundbedürfnisse nehme ich auch in unserer Zeit und vor allem momentan verstärkt wahr unter uns und in unserer Gesellschaft: wir sind müde, viele sind überarbeitet, die psychosozialen Belastungen der monatelangen Einschränkungen haben an vielen Kräften gezehrt. Auch wir sehnen uns nach einer Hoffnung, an der wir uns wirklich festhalten können, nach einer Hoffnung, auf die wir fest vertrauen können.

Es wäre so leicht, in dieser Situation Konflikte aufkeimen zu lassen. Unsere Geduldsfäden sind immer wieder so angespannt, dass sie zu zerreißen drohen. 

An den Kindern sieht man den Spiegel der Gesellschaft immer besonders anschaulich: Gespräche mit Kindergärtner*innen und anderen Eltern in den letzten Wochen und auch die Erfahrungen mit den eigenen Kindern haben mir gezeigt, dass auch bei ihnen die Emotionen immer schneller hochkochen. Dass auch die Kinder unter den ständigen Belastungen und dem Stress gelitten haben. Dass auch sie jetzt Ferien und Erholung, ein Auftanken an Frieden, brauchen.

Und ich merke es auch am eigenen Körper, dass die verschiedenen gesundheitlichen Belastungen, die ich seit fast 2 Monaten immer wieder erlebe, mich stärker als normalerweise eingeschränkt haben. Dass auch ich nicht so leistungsfähig bin, wie ich es von mir selbst gewöhnt bin. Dass auch ich mich nach Ruhe und einer kleinen Auszeit sehne.

Eine Geschichte der Hoffnung

Die Hoffnungen der Menschenmenge in unserem Evangelium sind auch unsere existentiellen Bedürfnisse.

An anderer Stelle, im Matthäusevangelium, verspricht Jesus: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken!“

Das hat die Menschenmenge bei Johannes erkannt und ihm sind sie auf den Berg gefolgt.

Im biblischen Sinn ist der Berg ein Ort der Gottesbegegnung. Berge sind höher oben als die Ebenen – nach dem alten Weltbild war man auf einem Berg Gott näher als weiter unten in den Tälern. Auf die Berge hat sich auch Jesus immer wieder zurückgezogen, wenn er viel zu tun gehabt hatte. In unserem heutigen Text hatte er sich eigentlich mit den Jüngern ausruhen wollen – doch dieses Bedürfnis hatte auch die große Menge, die ihm folgte. Später im Evangeliumstext schafft es Jesus noch einmal, sich allein auf den Berg zurückzuziehen, als alle anderen gestärkt wieder in ihren Alltag zurückgekehrt waren.

Doch hier auf dem Berg, da geschah das Wunder der Geschichte. Hier auf dem Berg hatte die große Menschenmenge eine tiefgründige Erfahrung der wundersamen Stärkung Gottes.

Aber wie?

Dieses Wunder hat mich über die Jahre hinweg immer wieder beschäftigt. Wie schaffte es Jesus, die 5 Brote und 2 Fische so auszuteilen, dass davon wirklich alle satt wurden und dass noch 12 Körbe voll übrig waren?

Ich habe mir das in meiner Jugendzeit immer versucht bildlich vorzustellen: Wie brach Jesus die Stücke vom Brot ab, ohne dass die Brote je kleiner wurden? Welche Stücke vom Fisch hat er öfter ausgeteilt und welche weniger oft? 

An dem Wunder selbst habe ich nie gezweifelt – denn dazu ist die Wunder-Geschichte einfach zu schön! 
Aber ich habe immer wieder darüber nachgedacht, wie Jesus das wohl geschafft hat.

Vor einigen Jahren hat eine Predigt meiner Kollegin in England mir dazu die Augen entscheidend geöffnet. Sie hat meinen Blick auf die zunächst unscheinbare Person gerichtet, die in dieser Geschichte eigentlich eine Hauptrolle hat. Während die Jünger noch überlegen, wie sie an genug Brot für alle Menschen kommen könnten, bemerkt plötzlich jemand: „Hier ist ein kleines Kind. Es hat fünf Gerstenbrote und zwei Fische“. Diese unscheinbare Bemerkung hat eine unglaublich große Wirkung. Das Kind hatte in seinem kindlichen Grundvertrauen angeboten, das, was es hatte, zu teilen. Aus dieser Einstellung zum Teilen wurde ein großes Wunder. 

Wenn Jesus sagt „Lasst die Kinder zu mir kommen; hindert sie nicht daran! Denn Menschen wie ihnen gehört das Reich Gottes“ (Markus 10,14), dann meinte er Beispiele wie unser heutiges. Kinder machen sich keine großen Sorgen über die Nachwirkungen ihrer Handlungen. Sie leben bewusster im Augenblick. Sie erleben das Heute mit all seinen Herausforderungen und Freuden viel stärker. Ihr Blick ist auf das gerichtet, was vor Augen ist.

So hatte das Kind in der Geschichte die Not der Situation und den Hunger erkannt und wollte seinen kleinen Beitrag leisten, um sie zu lindern.

Das Wunder zwischen den Zeilen

Was war also das eigentliche Wunder in der Geschichte?

Meine Kollegin in England würde behaupten, es war das Wunder des Teilens, des Aufeinander-Schauens, der gelebten Gemeinschaft und Nächstenliebe.

Denn wenn schon ein Kind anfängt, das, was es hat, zu teilen, dann machen vielleicht auch die Erwachsenen mit. Dann werden die Körbe, die durch die Menge gereicht werden, gleichsam gefüllt mit dem, was es gibt und dann nehmen sich alle auch nur so viel, wie sie dringend brauchen – damit genug für alle da ist. Und dann bleiben am Schluss noch 12 Körbe voll übrig. 

Die biblische Zahl 12 ist von symbolischer Bedeutung – es war nicht nur eine bestimmte Menge von Nahrung übrig, sondern es war Nahrung in Fülle übrig. Und alle waren satt.

Diese Interpretation der Geschichte ist zwischen den Zeilen gelesen und man muss sie nicht für richtig halten.

Doch die Werte, die sie mir vermittelt, zeigen mir das Wunder Jesu in einem neuen Licht. Er hilft uns Menschen aufeinander zu achten, gut miteinander zu leben, und auch Krisensituationen gemeinsam zu meistern, indem wir uns auf die Bedürfnisse der Mitmenschen einlassen und uns zuerst einmal gemeinsam setzen um in Ruhe die Probleme zu lösen.

Auch in unseren krisenerprobten Alltag kann dieser Ansatz neues Leben bringen.

Auch wir können viel Kraft schöpfen aus dem Miteinander. Daraus, uns einfach gemeinsam zu setzen, einander in Ruhe wahrzunehmen und dann voller Gottvertrauen nach Lösungen zu suchen, die allen Kraft schenken.

Das wäre doch ein schöner Schluss für diese Predigt!

Ein weiteres Wunder

Doch eine wichtige Beobachtung möchte ich noch hinzufügen:

Die Geschichte endet nicht auf dem Berg.
Unser heutiger Text endet nicht an der Stelle des Teilens.
Die Menschenmenge und die Jünger gehen wieder hinunter. Sie tauchen wieder in ihr Leben ein.
Die Jünger fahren auf den See hinaus mit dem Boot.

Und dort wartet gleich die nächste Herausforderung: Ihre Furcht kehrt zurück. Denn der See ist nicht ruhig. Wind und Wellen kehren wieder. Das Leben mit seinen Höhen und Tiefen schüttelt sie wieder herum.
Selbst Jesus, dessen Wunder sie hautnah miterlebt hatten, macht ihnen plötzlich Angst. Sie erkennen ihn zunächst nicht. 
Wieder spricht er ihnen zu und wieder legt sich ihre Angst, als sie erkennen. 

Das, was uns Hoffnung gibt, kann uns auch durch schwere Zeiten tragen. Und die wird es immer wieder geben im Leben.
Glauben und Vertrauen bedeutet, sich auch in diesen Zeiten ganz auf Gottes Geleit zu verlassen.

Immer wieder höre ich Geschichten von Menschen, die in ihrer Angst und Verzweiflung an Gott zweifelten. Die den Blick von Gottes Zusage abgelenkt hatten und in ihre eigene Situation ganz verbissen waren. Bis ihnen irgendwann auffiel, dass Gott die ganze Zeit bei ihnen war; dass Gottes Zuspruch so oft durch unsere Mitmenschen zu uns kommt; dass wir im Miteinander auch Gottes Liebe wieder neu spüren; dass Gottes Geist auch heute noch unsere Herzen anrührt und unser Leben verändert.

 

In den kommenden Wochen wünsche ich uns allen Zeit zum Rasten und zur Erholung. Ich wünsche uns göttliches Geleit und neue Kraft der Hoffnung. Ich wünsche uns den Frieden, den wir in Gemeinschaft erleben und der uns durch das Miteinander immer wieder trägt.

Amen.
 

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