Bilder bringen Gott zur Sprache

Glaubensimpuls

Bild von Martin Obermeir-Siegrist
Martin Obermeir-Siegrist

Pastor, Kinder- und Jugendwerk


Predigt zu Römer 8,14-17 „Galerie Römerbrief“

Zum Bibeltext Römer 8,14-17

Liebe Schwestern und Brüder! Seid ihr Sklavinnen und Sklaven, oder seid ihr Kinder? Oder irritieren euch beide Begriffe gleichermaßen? 

Vielleicht denkt ihr euch, nachdem ihr den Abschnitt aus dem Römerbrief gehört habt: „Ich bin ein erwachsener Mensch und die Sklaverei ist schon längst verboten und abgeschafft. Mit mir hat das alles nichts zu tun.“ Falls es so ist, verstehe ich eure Reaktion gut. Und trotzdem möchte ich euch in meiner Auslegung für die Sichtweise gewinnen, dass was Paulus hier schreibt, mit mir und mit dir, mit jeder und jedem einzelnen von euch zu tun hat.

Ich werde darum zunächst argumentieren, dass wir sprachliche Bilder brauchen und auch über die Herausforderungen sprechen, die das für den Umgang mit der Bibel bedeutet. Weiters werde ich auf die Bilder eingehen, die Paulus verwendet, um zum Schluss zur Frage zu kommen: „Was bedeutet es für uns, dass Paulus uns Erbinnen Gottes und Miterben Christi nennt?“

Wir brauchen Bilder und stolpern über sie

Zunächst also: Es gibt Bereiche der Wirklichkeit, die wir nur in Bildern ausdrücken können. Das ist mit Herausforderungen verbunden.

Wir sagen dann zum Beispiel: „Ich schenke dir mein Herz.“ Wir meinen damit aber nicht, dass wir ein Organ aus unserem Körper nehmen, und die Pumpe unseres Blutkreislaufs jemand anderem schön eingepackt und zugeschnürt in die Hand drücken. 

Sondern wir verwenden ein Bild, um zu sagen: „Ich schenke dir meine Liebe. Und zwar nicht nur oberflächlich, sondern so, dass dir ab jetzt ein lebenswichtiger Teil von mir gehört. So bleiben wir ganz inniglich verbunden.“

Wir brauchen Bilder, um die feineren und schwerer fassbaren Bereiche der Wirklichkeit zur Sprache bringen zu können. Und wir alle lernen, wenn wir eine Sprache lernen, auch die Bilder dieser Sprache. Es gibt dabei Bilder, die quer durch die Zeit und in verschiedenen Kulturen gleichermaßen verstanden werden. Oft kommt es aber auch zu groben Missverständnissen, wenn ein Bild aus einer Sprachwelt genommen und in eine andere Sprachwelt gestellt wird.

In der Bibel, von der wir glauben, dass sie die wesentlichen Bereiche der Wirklichkeit zur Sprache bringt, finden wir unzählige Bilder. Wenn wir uns auf biblische Texte einlassen, dann gleicht das also ein Stück weit einem Besuch in einer Galerie, in der alte Bilder ausgestellt werden. Die jüngsten sind mehr als 1800 Jahre alt, die ältesten fast so alt, wie die Menschheit selbst. 

Wir stehen in dieser Galerie also sehr verschiedenen Bildern gegenüber. Manche sprechen uns unmittelbar an und ziehen uns in ihre Bann. Andere stoßen uns vielleicht sogar ab. Dazwischen gibt es aber reihenweise Bilder, die uns zunächst etwas ratlos dastehen lassen; aber wenn wir eine Führung durch die Galerie gebucht haben, dann bekommen wir einige Hintergrundinformationen. So können wir uns den einzelnen Bildern besser annähern und wir beginnen, etwas von der Absicht des Malers oder der Malerin zu erkennen. Manchmal passiert es sogar, dass ein solches Bild uns dann richtig ans Herz wächst, auch wenn es aus einer ganz anderen Zeit kommt. (Und da wir eine gemeinsame Sprache sprechen, wisst ihr natürlich, dass ich gerade ein Bild verwendet habe und euch das Bild nicht im wörtlichen Sinn ans Herz wächst.)

Ich freu mich sehr, dass ihr – indem ihr diesen Gottesdienst mitfeiert – die Führung durch einen kleinen Teil der Galerie des Römerbriefs gebucht habt! Ich darf also weiters versuchen, euch einige Bilder aus dieser Sammlung etwas näherzubringen.

Sklaven und Sklavinnen versus Kinder

Wenn Paulus das Bild von Sklavinnen und Sklaven dem Bild von Kindern gegenüberstellt, wussten die Christinnen und Christen in Rom genau, wovon er spricht: Überall im ganzen römischen Reich, aber besonders hier in der Hauptstadt tummelten sich unzählige Sklavinnen und Sklaven. Frauen und Männer, die für verschiedenste Aufgaben eingesetzt wurden und dabei sehr unterschiedliche Lebensbedingungen hatten. Während eine Sklavin eine hochgebildete Lehrerin und Sekretärin war, putzte ein anderer vielleicht 12 Stunden jeden Tag und bekam danach eine Prügelstrafe, weil er den Lieblingstisch seines Herrn beim putzen zerkratzt hatte. 

So unterschiedlich diese Männer, Frauen und auch Kinder sein mochten, eines hatten sie alle gemeinsam: Sie mussten in Angst leben. Die einen zwar weniger, die anderen mehr; aber selbst die, die es mit ihren Besitzern gut getroffen hatten, waren nicht vor Übergriffen von anderen freien Menschen geschützt. Denn laut römischem Recht waren sie Sachbesitz gleichgestellt. Wer eine Sklavin begrapschte oder einen Sklaven prügelte machte sich strafbar, weil er sich am Besitz eines anderen verging, nicht weil er einen Menschen menschenunwürdig behandelte.

Die Kinder der freien Römerinnen und Römer hatten da einen ganz anderen Wert und eine andere Würde. Gerade die Kinder der mächtigen Patrizierfamilien! Sie sollten den Familiennamen weiterführen und das Erbe gut verwalten, also Einfluss und Vermögen noch vermehren. Damit das gelingen konnte, scheuten die Eltern keine Kosten und Mühen. Die Kinder der Freien lebten nicht nur im Schutz des römischen Rechts, sonder auch im Schutz des elterlichen Einflusses. Und sie lebten vor allem in der Gewissheit: „Ich bin erbberechtigt. Ich werde einmal frei darüber verfügen können, was mir zugefallen ist.“

Menschen, die im Geist der Angst leben müssen, stellt Paulus also solchen Menschen gegenüber, die in der Gewissheit leben: „Für mich ist gut gesorgt. Ich bin gut geschützt. Ich habe eine gute, freie und selbstbestimmte Zukunft vor mir.“

Erben Gottes und Miterben Christi

Liebe Schwestern und Brüder, wenn ich euch jetzt noch einmal frage: „Seid ihr Sklavinnen und Sklaven, oder seid ihr Kinder?“, dann hoffe ich, dass ihr innerlich antwortet: „Ich bin ein Kind Gottes. Zumindest in dem Sinn, wie Paulus dieses Bild hier verwendet. Für mich ist gut gesorgt. Ich bin geschützt und ich bin erbberechtigt.“

Ja, liebe Geschwister, Erbinnen Gottes und Miterben Christi nennt Paulus uns. Was bedeutet das?

Es bedeutet, dass Gott dich nicht als ein nützliches Ding sieht, das letztlich ersetzbar ist, wie – nach antikem Denken – eine Sklavin, ein Sklave. Sondern für Gott bist du ein freier Mensch, den Gott unendlich liebt, so wie gute Eltern ihr eigenes Kind. Es bedeutet, dass Gott es dir zutraut, mit all dem, was du von Gott bekommen hast, gut und verantwortungsvoll umzugehen. Was das wiederum in deinem Leben, im Leben von jeder und jedem von euch bedeutet, das wisst ihr selbst besser als ich. So muss ich darüber nicht predigen. Einen Gedanken im Bezug auf das heute ausgeführte Thema der Bilder möchte ich euch aber zum Schluss mitgeben:

Die Bibel mit all ihren Bildern ist ein Teil unseres Erbes und wir halten zurecht daran fest, dass in dieser Galerie der Bibel einige der größten Meisterwerke aller Zeiten hängen. Verantwortungsvoll mit diesem Erbe umzugehen heißt für mich: 

Ich betrachte diese Bilder immer wieder, meditiere sie und tausche mich mit meinen Geschwistern, die ebenfalls Miterbinnen sind, darüber aus: „Was siehst du? Was sehe ich?“ Ich beschäftige mich auch damit, was fachkundigere Menschen mir über die Bilder vermitteln können.

Ich bleibe selbst den Bildern gegenüber, die mich besonders herausfordern, neugierig und frage: „Warum tue ich mir mit diesem Bild so besonders schwer? Was sagt das über mich aus? Was hat dieses Bild also doch mit mir zu tun?“

Wenn Grobiane diese Galerie endgültig schließen wollen und behaupten: „Diese Bilder sind zu alt! Die nützen uns heute nicht mehr!“, dann stelle ich mich ihnen entschlossen entgegen und versuche sie mit meiner Begeisterung für meine Sicht der Dinge zu gewinnen: „Ich brauche diese Bilder! Sie erzählen mir wesentliches über mich, über die Menschen, über die Welt. Manches, das ich hier sehe, würde ich sonst übersehen. In diesen Kunstwerken spiegeln sich so viele menschliche Erfahrungen wider! Bitte lasst mir diese Bilder! Und wenn ihr wollt, zeige ich euch ein paar meiner Lieblinge.“

Bei all diesem wertschätzenden Umgang mit meinem Erbe bleibe ich mir aber bewusst: Meine Hauptaufgabe ist es nicht, diese Galerie gut zu bewahren und wenn da und dort sichtbare Spuren des Alterns hinzukommen zu behaupten: „Stimmt überhaupt nicht. Diese Bilder sind frisch, wie am ersten Tag. Wer etwas anderes sagt, ist ein Feind Gottes!“ Nein, sondern: Inspiriert von diesen wundervollen Meisterwerken bin ich beauftragt ganz neue Bilder zu malen. Bilder, die meine Erfahrungen im Hier und Heute ansprechen. Bilder die darum auch geeignet sind, andere Menschen mit ähnlicher Lebenswelt und ähnlichen Erfahrungen unmittelbarer anzusprechen, als manch biblische Bilder es vielleicht tun.

Mir ist dabei bewusst: Ich werde dafür, wie ich mit meinem Erbe umgehe, angefeindet werden. Es wird immer Verwandte geben, die behaupten, sie hätten mehr Anspruch auf das Erbe als ich.

Aber solche Eifersucht und Besserwisserei kann mich nicht im geringsten verdrießlich stimmen. Meine Freude über das Erbe, über das ich verfügen darf, ist so groß, dass ich mich jeden Tag neu ans Werk mache und zu malen beginne. Während ich male pfeife ich vergnügt ein Lied und denke: „Wenn durch dieses Bild auch nur ein einziger Mensch erfährt, wie sehr Gott ihn liebt, dann danke ich Gott, dass er mir heute geholfen hat.“

Wenn ich mich einmal uninspiriert fühle, dann seufze ich und weiß: „Auch jetzt bin ich ein geliebtes Kind Gottes.“

In all meinem Schaffen und in den Pausen dazwischen vertraue ich darauf, dass Gott selbst mich immer mehr in das Bild eines Menschen umgestalten wird, der ganz frei von Angst und ganz erfüllt von Vertrauen ist. 

So hoffe ich darauf, dass ich auch in schwierigen, ja selbst in qualvollen Situationen den Pinsel nicht ganz aus der Hand legen werde; und dass etwas von Gottes Glanz nicht nur in meinen Bildern, sondern sogar an mir selbst zu sehen ist.

Das Beste

Das Beste von allem aber ist: 

Obwohl ich ich schon frei über mein Erbe verfüge, ist mein himmlischer Vater noch am Leben; und wie eine Mut machende Mutter stärkt Gott meine Wege. 

Während ich selbst jeden Tag neue Bilder male, bin ich selbst zutiefst geprägt vom Bild Jesu.

Obwohl ich selbst entscheide, welche Pinselstriche ich setze, ist meine Hand doch geführt von Gottes Geist und beeinflusst von dem regen Austausch den wir in meinem Künstler*innenkollektiv, genannt „Die Kirche“ pflegen.

Für dieses reiche Erbe sei dem dreieinen Gott ewig Preis und Ehre. Halleluja!

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